Nachtragend im Abgang

von Redaktion

Gerhard Polt und die Well-Brüder in den Münchner Kammerspielen

VON SIMONE DATTENBERGER

Ein herzlicher Dank von der Bühne des Schauspielhauses herunter aus den strahlenden Gesichtern von Gerhard Polt und den Well-Brüdern ausm Biermoos, Michael, Karl und Christoph. Ihre Freude galt am Mittwoch dem Publikum der Kammerspiele, 25 Prozent schütter im Raum verteilt (warum dürfen 100 Prozent ohne Maske ins Restaurant?), das nach dem zweieinhalbstündigen Abend „40 Jahre Polt und die Well-Brüder, im Abgang nachtragend“ glücklich zurückstrahlte, heftig klatschte und jubelte. Diese 40-Jahre-Sause hatte im vergangenen Jahr Premiere, ist aber im Corona-Trubel ziemlich untergegangen.

Deswegen wird mittlerweile schon das 42. Jubiläum begangen, wie Polt in seiner betont unfestlichen Festrede betonte: Und das Resümee sei „als Resümee unvollständig“. Gott sei Dank, haben alle Zuschauerinnen und Zuschauer gedacht, schließlich wollen wir die vier noch viele Jahre erleben. Auch wenn das „der Odem“ der diversen Garderoben eher erschwert, der aus Asbest, Formaldehyd und Schimmel bestehe, wie Polt berichtete. Aber es gäbe nicht nur diese „Pralinen der Innenarchitektur“, sondern dicke Umweltsünden; drei Millionen Kilometer habe man auf Tourneen per Auto zurückgelegt.

Nach diesem „offiziellen“ Auftakt lockten uns die Wells schnell aufs Land und zu dessen architektonischen „Pralinen“, und zwar nach „Hausen“. Also auf bekanntes Well-Terrain. Das Dorf mit dem berühmten Kreisverkehr, an dem schon Händels Kutsche scheiterte, sei nun quasi mit „Rohrbach“ zusammengewachsen. Das wiederum von „Rupp-Rohre Rohrbach“ dominiert werde, einer Firma, die ihr Ansehen auf ihre Weihwasserpipeline aufgebaut habe. RRR, Feuerwehr und Händel sind Steilvorlagen für Zungenbrecher, freche Gschichtln, gfotzerte Gstanzln und traumhafte Musik.

Dafür stehen Stofferl, Michael und Karl Well, wie ihre vielen Instrumente auf der Bühne bereits künden, bevor sie sie überhaupt betreten haben. Und weil man schon 42 Jahre mit Polt unterwegs ist, wird er oft in die klanglichen Darbietungen integriert. So sorgt er zum Beispiel bei der längst klassisch gewordenen Alphorn-Nummer allerliebst fürs Alm-Idyll, im Abgang rockig.

Nachdem alle mit den „Hausen“-Storys und einem fetzigen Händel auf Betriebstemperatur gekommen sind, schlüpft Polt in eine seiner Lieblingsrollen: den Scheißhausphilosophen. Da hebt ein großartiger Monolog an, wie ihn nur Polt aus der amorphen Masse einer Halbsatz-Einleitung ausformen kann. Polt-Fans wissen natürlich, dass dieses Herumschlampern in Syntax und Denkschnipseln zu einem spannenden Porträt oder einer Fetzengaudi wird – oder zu beidem. Bei dem Mann, der tiefgründig „Was ist der Mensch“ fragt und zugleich Menschen ganz schnell zu Grattlern degradiert, langt der Kabarettist richtig hart zu. Und trotzdem muss man über den Widerling lachen, der frustriert droht: „Ich denunziere keinen mehr!“ Denn was nützen die schönen Drohnenaufnahmen von den 78 Würsteln einer Lockdown-illegalen Grillparty, wenn sich die Obrigkeit für die Beweise nicht interessiert?

Solche Ego-Monster beschäftigen den feinsinnigen Künstler schon sehr, wie das Programm immer wieder nahelegt. Selbst der scheinbar harmlose Wein-Connaisseur gehört in diese Kategorie. Zur Feier des wiedergewonnenen Führerscheins kredenzen ihm die Well-Brüder einen besonderen Tropfen, einen 16er-Beaujolais nachtragend im Abgang. Diese unglaublich genau beobachteten Charaktere sagen mehr unter anderem über Impfverweigerer und Verschwörungsgläubige aus als viele Witze über sie. Es ist wohltuend, dass die vier diese Egoisten kaum erwähnten.

Schöner zum Thema Seuche ist die Gaudi-Litanei der Wells aus dem Evangelium nach „Markus, dem Franken“, dem „Coronator“. Wie jede Nummer von befreiter Freude des Publikums begleitet ist: endlich im Theater- mit anderen auf hohem Niveau lachen! Am tränenreichsten und zwerchfellerschütterndsten ist das Lachen, ausgelöst von einem indischen Pfarrer. Gekommen, um Bayern zu rechristianisieren, wird er interviewt. Ergebnis: ein Hochamt in bairischem (Michael Well) und indischem Englisch; Polt wieder mal unübertroffen als Porträtist durch hinreißende Sprech-Malerei.

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