Mit einer Ohrfeige schreibt Sidney Poitier 1967 Filmgeschichte. Im Klassiker „In der Hitze der Nacht“ verpasst ein weißer Großgrundbesitzer einem afroamerikanischen Polizisten, der ihm unangenehme Fragen stellt, eine Backpfeife. Im Süden der USA geht man so mit frechen Schwarzen um. Poitier als Polizist gibt die Ohrfeige postwendend zurück und macht damit klar, wer hier gerade das Sagen hat.
Später schreibt Poitier in seiner Autobiografie, dass er sich diese Szene selbst ins Drehbuch geschrieben habe. Statt vieler Worte wollte er ein unmissverständliches Statement setzen – das ist ihm gelungen. Seinerzeit war diese Szene selbstverständlich auch politisch zu deuten und in einem Hollywood-Werk eine kleine Sensation. Der Film wurde trotzdem oder vielleicht auch genau deswegen ein riesiger Erfolg und Sydney Poitier der erste afroamerikanische Weltstar.
Zu diesem Zeitpunkt war Poitier bereits der größte – und erste – schwarze Star der Traumfabrik, der in Meilensteinen wie „Flucht in Ketten“ (1958) als erster Afroamerikaner eine Oscar-Nominierung als Hauptdarsteller einheimste und ihn dann 1964 für „Lilien auf dem Felde“ auch bekam.
Seine Leinwandkarriere verdankte Poitier dem anderen großen schwarzen Entertainer jener Jahre: Harry Belafonte. Beide spielten am American Negro Theatre in New York, und ein Talentscout aus Hollywood wollte sich eigentlich Belafonte ansehen. Aber der konnte nicht auftreten, weil er in seinem Hauptjob als Hausmeister just an diesem Abend die Mülltonnen vor die Türe stellen musste. Also stand Poitier auf der Bühne – und wurde entdeckt.
Er galt als großer Schweiger und agierte betont physisch, seine natürliche Präsenz kam ihm da entgegen. Der Grund für die Einsilbigkeit des jungen Poitier war im Grunde trivial: Dem Burschen von den Bahamas war sein melodischer karibischer Dialekt peinlich. Für seine Herkunft freilich hat er sich nicht geschämt, die habe ihn geprägt, wie Poitier immer wieder erzählte.
Er wuchs auf der winzigen Insel Cat Island auf, die man ohne größere Mühe an einem Tag der Breite nach durchqueren kann. Poitier lebte buchstäblich in der Natur, besaß keine Schuhe und konnte sich ein Leben außerhalb dieses kleinen Idylls nicht einmal vorstellen. Der Vater, ein armer Tomatenbauer, schickte ihn als Teenager in die USA, weil die Familie dort eine bessere Zukunft für ihn erhoffte – für Poitier ein umfassender Kulturschock.
Mit nur rudimentärer Schulbildung fühlte er sich hilflos und begann, wie besessen zu lernen. Der alltägliche Rassismus machte ihn wütend – in der Karibik hatte er sich nie als Außenseiter empfunden und keinerlei Lust, dies nun wegen einiger bornierter hellhäutiger Amerikaner zu ändern. Es war nicht er, der ein Problem hatte, sondern die anderen hatten eines. So sah das Poitier.
Das aufrechte Selbstbewusstsein, diese natürliche Souveränität, die ihn ausmachte, die musste der hochgewachsene, gut aussehende Poitier nicht spielen. Gemeinsam mit Belafonte, mit dem er eng befreundet war, engagierte er sich in der Bürgerrechtsbewegung und machte allen klar, dass er kein „Haussklave“ des Systems sein wollte: also niemand, der wegen einiger Privilegien den Status Quo hinnimmt.
Das hat ihm nicht nur Freunde gemacht, übrigens auch nicht in der afroamerikanischen Gemeinde. Denn Poitier lehnte den Gedanken des Rassismus als grundsätzlich dumm ab, auch wenn schwarze Aktivisten damit hantierten.
Mit Belafonte hat sich Poitier dann verkracht, der geschmeidige Harry war ihm zu vorlaut. Und ganz besonders genervt war er von Belafontes Theorie, Poitier werde vom weißen Publikum akzeptiert, weil er bewusst harmlos als Idealbild des guten Schwarzen agiere und keine Gefahr darstelle. Poitier kündigte Belafonte nach Jahrzehnten die Freundschaft. Er sei eben ein guter Mensch, erklärte Poitier, wenn er gefragt wurde, woher das Image des anständigen Mannes komme. Er wolle mit allem, was er tue, seinen Vater ehren, der ihm dieses Leben ermöglicht habe, und dazu gehöre eben auch, integer zu bleiben.
Als die Rollenangebote in den 70er-Jahren weniger wurden, sattelte Poitier einfach auf Regisseur um – und hatte Erfolg. Für viele überraschend mit leichtfüßigen Komödien wie „Drehn wir noch’n Ding“ (1975) oder „Zwei wahnsinnig starke Typen“ (1980). Mit schönen späten Auftritten in Hits wie „Little Nikita“ (1988) oder „Sneakers“ (1992) erlebte er ein Comeback als Schauspieler und wurde 2002 mit dem Ehren-Oscar für sein Lebenswerk prämiert.
„Ich kann mir kein Drehbuch vorstellen, dass mich von dieser Entscheidung abbringen könnte“, sagte Poitier, als er sich endgültig vom Kino verabschiedete. „Ich war der, der ich entschieden habe, zu sein“, so antwortete Poitier auf die Frage nach seinem größten Erfolg. Er war, das muss man dazu sagen, ein Großer. Nun ist er mit 94 Jahren nach einem erstaunlichen Leben gestorben. Chester Cooper, stellvertretender Ministerpräsident der Bahamas, verkündete: „Wir haben eine Ikone verloren, einen Mentor, einen Kämpfer, einen nationalen Schatz.“