Dieser Kommentar würde Michel Houellebecq sehr gefallen. Es ist ein Eintrag auf der Internetplattform Tripadvisor. Dort darf jeder schreiben, was er von einem Restaurant, einem Hotel oder eben einem Park hält. Vom Parc de Bercy in Paris beispielsweise. Jenem Park, in dem die Hauptperson Paul Raison in Houellebecqs heute erscheinendem Roman „Vernichten“ erstmals wieder etwas Nähe zu seiner Frau, Prudence, erlebt. Der Park, in dem sie nach elf Jahren Ehe auf Distanz ein zärtliches Ritual entwickeln, den gemeinsamen Spaziergang zur Arbeit nämlich. Gegenseitig untergehakt, einander eine Stütze. „Ich war im März an diesem Park und fand ihn alles andere als schön“, schreibt eine gewisse Cabsa29 aus Koblenz also auf Tripadvisor. Und fügt genervt hinzu: „Ich weiß auch gar nicht, warum sich dieser Ort Park nennt. Zugegeben, da ist ein kleiner Garten, aber sonst ist da nichts. Wer nicht zufällig ohnehin in der Gegend ist, kann darauf gut verzichten. Da gibt es viel schönere Parks, gerade in Paris.“
Houellebecq, auch mit 65 das ewige Enfant terrible der (französischen) Literaturwelt, hat natürlich ganz bewusst diesen Pariser Park gewählt. Nicht im allerliebsten Jardin du Luxembourg lässt er Paul und Prudence ihre zarten Gehversuche im Gleichschritt proben, sondern an einem Ort, der nichts von der träumerischen Paris-Fantasie hat, wie sie andere Autoren heraufbeschwören. Und dies ist das Verblüffende: Der trostlose Park erscheint dennoch nicht als hässliche Tristesse. Hat der Verlag dem Einband den falschen Inhalt hinzugefügt? Autor: Michel Houellebecq, Titel: „Vernichten“. Und doch ist dies keine durch und durch misanthropische, zynische, vom Ekel auf die Welt getriebene Abhandlung über die Sinnlosigkeit des Lebens. Sondern durch all die Misanthropie, den Zynismus und den Ekel schimmert – Schönheit. Und, noch erstaunlicher: Hoffnung.
Ja, man möchte, nachdem man 624 Seiten lang viel Dreck gefressen hat – um im Jargon des Autors zu bleiben – gern noch eine Schaufel draufgelegt bekommen. Man hat die Menschen lieb gewonnen, die Houellebecq ohne Beschönigung gezeichnet hat. Man leidet mit ihnen. Man sorgt sich mit ihnen. Und am Ende – weint man um sie. Weil nicht Polemik des Autors Feder geführt hat, sondern Mitgefühl. Der Text ist durchdrungen von einem Verständnis für uns alle, die wir meinen, unser Leben unter Kontrolle zu haben – und doch nur Spielbälle des eigenen Schicksals sind. Diese Machtlosigkeit im Kleinen fügt Houellebecq brillant in eine Rahmenhandlung über die Machtlosigkeit im Großen ein. „Vernichten“ beginnt als Politthriller.
Kurz vor den französischen Präsidentschaftswahlen 2027 taucht im Netz ein Video auf, das die Hinrichtung des möglichen Kandidaten Bruno Juge zu zeigen scheint. Paul Raison ist engster Vertrauter des bedrohten Politikers. So spielt der Roman zu großen Teilen im Umfeld der französischen Spitzenpolitik, was der Autor dazu nutzt, genüsslich seine Pfeile auf so manchen realen Volksvertreter abzufeuern. Bruno – angelehnt an den französischen Wirtschaftsminister Bruno Le Maire – ragt aus der Masse der opportunistischen Politstrategen wohltuend heraus als jemand, der für sein Land tatsächlich Positives bewirken will. Doch letztlich muss auch er sich eingestehen, dass seine Stärke begrenzt ist. „Vermochte ein Politiker den Lauf der Dinge wirklich zu beeinflussen?“, fragt sich Bruno einmal.
Die wahre Macht haben heute die, die die neuen Technologien beherrschen. Wie die Terroristen, die nach dem Hinrichtungs-Video tatsächlich Anschläge verüben. Virtuos lässt Houellebecq nun zwei Geschichten ineinanderfließen, Pauls privates und Pauls berufliches Leben. Sein Vater erleidet einen Hirnschlag und wird zum Pflegefall. Er war selbst einst Geheimdienstmitarbeiter und hat zu den terroristischen Angriffen interessante Akten im Regal stehen; und heißt nicht das Kind von Pauls Bruder wie jemand, auf den die Terroristen mit ihren Zeichen anspielen? Aus welcher Ecke kommen die eigentlich? Aus der Wicca-Bewegung, zu der auch Pauls Frau gefunden hat? Immer neue Fährten legt Houellebecq, doch spielen sie alle im Endeffekt keine Rolle. Die Frage ist ja nicht, inwiefern die Politik den Lauf der Dinge beeinflussen kann. Die Frage ist, wie wir selbst es können.
Die hoffnungslose Antwort, die sich durch den Roman zieht, ist die, dass wir – in einer Welt, in der selbst das Pflegesystem der Gewinnmaximierung unterliegt – keinerlei Einfluss haben. Doch da ist noch diese zweite Möglichkeit, diese sanfte Brise Hoffnung, die durch die Seiten flattert. Rettet uns am Ende – die Liebe? Klar gehört auch Sex dazu. Kein Houellebecq ohne ein paar Porno-Sequenzen. Doch wie zärtlich, wie behutsam, wie feinfühlig er die Lust hier einsetzt. Als ein Aufbäumen gegen den Tod – im wahren Sinne des Wortes. Der Phallus als letzte Phalanx gegen das Sterben. Seine Danksagung beendet Houellebecq mit dem Satz: „Für mich ist es Zeit aufzuhören.“ Wenn es am schönsten ist.
Michel Houellebecq:
„Vernichten“. Aus dem Französischen übersetzt von Stephan Kleiner und Bernd Wilczek. Dumont Verlag, Köln, 624 Seiten; 28 Euro.