Klick den Komponisten

von Redaktion

Das Jewish Chamber Orchestra widmet sich auf ungewöhnliche Weise Alexander Zemlinsky

VON TOBIAS HELL

Geahnt hatte man es beim Jewish Chamber Orchestra Munich (JCOM) schon während der Vorbereitung: Die Feierlichkeiten zum Alexander-Zemlinsky-Jahr 2021 können wohl nicht in dem Umfang stattfinden, den man dem Komponisten zu seinem 150. Geburtstag gegönnt hätte. Doch da ist der Wiener mit Beethoven, den es 2020 aus denselben Gründen erwischte, ja in bester Gesellschaft.

Sang- und klanglos wollte man den Termin dennoch nicht verstreichen lassen. Schließlich ist die Präsenz Zemlinskys auf den Konzertpodien immer noch ausbaufähig. Daher legt das JCOM nun eine CD vor, die während der Planungen zum mittlerweile auf Mai 2022 verschobenen Auftritt produziert wurde und über die Webseite des Orchesters bestellt werden kann (www.jcom.de).

Dass die Musik Zemlinskys keineswegs die Ausrede eines Jubiläums benötigt und sich neben gern gespielten Klassikern seiner Zeitgenossen mehr als behaupten kann, daran besteht für Dirigent Daniel Grossmann kein Zweifel. „Ich hasse Jubiläen“, gibt er mit ironischem Lächeln zu Protokoll. „Aber die Veranstalter oder Plattenlabels wollen bei Ausgrabungen eben einen Aufhänger, weil sich ein Thema dann besser verkaufen lässt. Doch ich habe mir fest vorgenommen, dass wir uns auch in Zukunft weiter mit Zemlinsky beschäftigen.“ Der künstlerische Leiter des JCOM sieht unter anderem eine Parallele zu Mieczyslaw Weinberg, der nach einem überaus positiv aufgenommenen Themenschwerpunkt zum 100. Geburtstag ebenfalls eine Säule im Repertoire des Ensembles wurde.

Hieran anknüpfend baut das „Projekt Zemlinsky“ auf Nachhaltigkeit. Dies begann bereits vor wenigen Wochen mit einer Reihe von Video-clips auf dem Youtube-Kanal des JCOM. Dort bekam man nicht nur das zum Jubiläum ausgedachte Programm in Häppchen digital serviert, sondern auch von Grossmann selbst interessante Einblicke in Leben und Werk des Komponisten. Mit stetig wachsenden Klickzahlen. Viel Wissenswertes gibt es da zu erfahren: über die Familie Zemlinskys, in der sich jüdische, muslimische und katholische Traditionen kreuzen. Über die Bekanntschaft mit der berüchtigten Alma Mahler-Werfel. Aber auch über ein schicksalhaftes Treffen mit Johannes Brahms, der die progressiven Tendenzen seines jungen Kollegen kritisierte, ihn aber gleichzeitig zu einem Klarinetten-Trio anregte, das kurz darauf bei einem Kompositionswettbewerb immerhin den dritten Platz errang.

Dieses Trio mit der Opuszahl 3 ist nun unter anderem auf der aktuellen CD des JCOM vertreten. In einer Orchesterfassung, die vom Österreicher Richard Dünser erstellt wurde und dem Werk eine neue Dimension verleiht. „Die Musik bekommt dadurch einen ganz anderen Gestus“, sagt Grossmann. Die Komplexität der Themen und wie Zemlinsky damit umgeht habe etwas sehr Orchestrales. Das höre man in dieser Fassung gut heraus. „Und es ist durchaus sinnvoll, dass Dünser es nun Kammerkonzert nennt, weil wirklich etwas Größeres daraus wird.“

Auch wenn es sich um ein Jugendwerk handelt, ist für Grossmann bereits vieles von dem zu erahnen, was die Faszination der späteren Partituren Zemlinskys ausmacht. „Wir hören da eine unglaublich opulente, aber auch sehr emotionale Musik, die ich als eine klare Antwort auf die Kritik von Brahms verstehe. Bei Zemlinsky steht ja immer die Frage im Raum, wo er sich selbst musikalisch verortet. Wie viel von der jüdischen Tradition man tatsächlich hört und welche anderen Einflüsse sich bemerkbar machen. Sein größtes Problem liegt vielleicht darin, dass sein Stil nicht so homogen ist wie bei anderen Komponisten.“

So wie etwa beim befreundeten Arnold Schönberg, der nach spätromantischen Anfängen einen radikalen Bruch mit der Tradition vollzog und eine überaus individuelle Sprache fand. Wobei gerade die bewusste Gegenposition zu dieser Zweiten Wiener Schule den Zugang zu Zemlinskys Musik für den Hörer einfacher machen müsste.

Einen weiteren interessanten Vorgeschmack auf das verschobene Konzert bieten in diesem Kontext die ebenfalls in der Allerheiligen-Hofkirche aufgezeichneten „Lieder von Nacht und Traum“ mit Bariton Thomas E. Bauer, die das Album und die Videoclip-Serie abrunden. Das sind sieben Kompositionen aus Zemlinskys früher Schaffensperiode, die erneut von Richard Dünser instrumentiert und zu einem Zyklus zusammengefügt wurden. „Natürlich hört man auch hier, dass es Jugendwerke sind“, meint Grossmann. „Aber ich finde es extrem gut zusammengestellt, weil das emotional eine große Bandbreite abdeckt. Und weil man hier innerhalb weniger Werke schon eine unglaubliche Entwicklung wahrnimmt.“

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