Ein Gesamtkunstwerk

von Redaktion

NACHRUF Designer, Fotograf, Universalgenie: Trauer um Thierry Mugler

VON KATJA KRAFT

Es gibt dieses spektakuläre Foto, darauf das Model Claude Heidemeyer auf dem Vorsprung eines New Yorker Wolkenkratzers. Sie liegt da, ungesichert. Noch spektakulärer aber ist, wie die Aufnahme entstand. Thierry Mugler, Designer, Fotograf, Universalgenie, hing aus dem Fenster ein paar Stockwerke weiter oben. Er hatte seine skeptischen Assistenten dazu aufgefordert, eine Leiter aus dem Fenster zu schieben und gut festzuhalten. Er selbst krabbelte darauf mit der Kamera hinaus ins Freie. Und machte, aus schwindelerregender Höhe, seine Bilder. Art must be a Hell of a Drug.

Wir wissen freilich nicht, welche Substanzen in diesem Moment irgendwann in den Achtzigerjahren noch im Blute Thierry Muglers zirkulierten. Das verriet er bei seinem jüngsten Besuch in München, bei dem er diese Anekdote zum Besten gab, nicht. Aber klar ist: Die Droge, die ihn am meisten kickte, die ihn zu Höchstleistungen antrieb, es war die Kunst. Am Sonntag ist der Mann, der selbst ein Gesamtkunstwerk war, gestorben. Mit ihm verliert nicht nur die Modewelt einen ihrer Kreativsten.

Vor allem einen, der nichts darauf gab, wem seine mitunter äußerst freizügigen, provokanten, immer extravaganten Kreationen missfallen könnten. Und wenn ihm jemand damit kam, dass er sexistische Mode mache oder Frauen in seinen Fotos als reine Sexobjekte inszeniere, dann legte Mugler ganz cool einfach noch eine Schippe drauf. Was all die Kritiker missverstanden, ist ja: In Wahrheit war dieser Mann Feminist. Frauen, das waren für ihn Superheldinnen. Er schuf für sie die passende Montur. Todschick dazu. Stars wie Beyoncé wussten das zu schätzen. Ihnen nähte der Künstler auf einen Glitzer-Hauch von Nichts aus Kunststoff gegossene Eiszapfen – elegant und entwaffnend zugleich.

Doch nicht nur Frauen, der Mensch an sich war für Mugler ein „zerbrechliches, schönes Geschöpf“. Und wenn man ihn traf, etwa 2020 in der ihm gewidmeten und so überaus erfolgreichen Schau in der Münchner Kunsthalle, da saß einem im Gespräch ein Mann gegenüber, der dieses Zerbrechliche, aber auch das Schöne selbst in sich trug. Trotz massivem Bodybuilding und so manch verkappter „Schönheits“-OP: Dieser Hüne wirkte kindlich. Man sah den einstmals zarten Tänzer in ihm. Ja, mit 14 hatte er, der am 21. Dezember 1948 in Straßburg geboren worden war, in Paris eine Ballettausbildung absolviert. Nebenher begann er Kleidung zu entwerfen, ehe er Kostümdesign studierte. Vielleicht, um auch sich selbst eine Rüstung gegen die Welt zu schneidern.

Die Achtziger waren seine goldenen Jahre. Das Wilde, Unkonventionelle seines 1974 gegründeten Unternehmens Thierry Mugler passte in die Zeit. Topmodels liebten die Kreationen mit riesigen Schulterpolstern, schmaler Taille und tiefem Ausschnitt. Sein Damenparfüm „Angel“, das 1992 auf den Markt kam, soll 1998 häufiger verkauft worden sein als Chanels legendäres N˚5. Mugler setzte überall seine Duftmarke.

In den Neunzigern wurde es stiller um ihn, 1997 übernahm der Konzern Clarins die Markenrechte. 2002 verschwand Mugler aus dem Geschäft. Doch das Stehaufmännchen kam zurück. Erst im vergangenen Jahr trat Mugler als Gastjuror in der Show „Germany’s Next Topmodel“ auf. Echt jetzt, bei dieser glattgebügelten Sendung?, fragte man den ungemein offenherzig daherkommenden Designer. Doch der antwortete: „Warum denn nicht?“ Auch Heidi Klum sei eine Frau, die selbstbewusst ihren Weg gehe. Manchmal tat sie dies in seinen Kleidern. Man muss kein Fan von Klum sein, um anzuerkennen: In diesen Momenten sah sie noch strahlender aus.

Dies ist der Trost angesichts der Nachricht seines Todes: Thierry Muglers Werke bleiben. Als schillernde Inspiration dazu, etwas zu wagen. Sternenstaubfunkelnd, außergewöhnlich – und wunderschön.

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