Er war 300 Mal Hamlet, 50 Abende davon in München am Residenztheater, zu dessen Ensemble er gehörte. Damals, in den 70er- und 80er- Jahren, hat sich Michael Degen auf Dauer ins Gedächtnis des Münchner Publikums gespielt. Jetzt lebt er, der im sächsischen Chemnitz geborene Berliner, in Hamburg. Der Schauspieler und später auch Schriftsteller, der jüdische Junge, der sich in den letzten Kriegsjahren unter Lebensgefahr in den Laubenkolonien Berlins verstecken musste, der attraktive Weltmann mit dem israelischen Pass wird heute 90 Jahre alt.
Degen verführte das Münchner Publikum nicht allein mit Shakespeares Dänen-Prinz. Mit morbider Eleganz gewann er als Mackie Messer die Gunst der Zuschauer. Er stand als Schillers Posa auf dieser Bühne, und spielte hier Peter Handke und Jacques Offenbach, Molières Dom Juan und den Physiker Teller in Kipphardts „In der Sache J. Robert Oppenheimer“. Auch im Regieführen probierte er sich aus, gleich zweimal im Abstand von nur vier Jahren inszenierte er „Faust I“ fürs Bayerische Staatsschauspiel. Um später in den Stücken George Taboris mitzuwirken, in denen er sich mit seiner jüdischen Identität konfrontiert sah, kam Degen in den 90er-Jahren noch einmal als Gast zurück ans Resi. Das waren „Die Kannibalen“, deren deutsche Erstaufführung er bereits 1969 am Berliner Schiller-Theater gespielt hat, und „Die Goldberg-Variationen“.
Nach dem Kriegsende 1945 sollte nie mehr erwähnt werden, was die Familie erlitten hat: Vater an den Folgen der Folter im KZ Sachsenhausen gestorben, Bruder im Exil in der israelischen Armee, Mutter mit Sohn Michael in der Illegalität in Berlin. „Wir vergessen alles“, war ihr Schweigegebot. Vielleicht um weiterleben und einen Neuanfang wagen zu können. Als ein sowjetischer Offizier, selbst Jude, beide vernahm, wollte er nicht glauben, dass sie Juden seien. Er stellte dem 13-Jährigen die Fangfrage, was er denn spreche, wenn sein Vater gestorben sei. „Das Kaddisch“, entgegnete der Halbwüchsige und begann auf Hebräisch den Text zu sagen. Nun war die Rettung endgültig.
Degen begann eine Schauspielausbildung in Berlin. Doch dann zog es ihn 1949 in den gerade gegründeten Staat Israel, wo er seinen Bruder fand, Hebräisch lernte und sogar als Schauspieler auf der Bühne stand. Aber Hebräisch blieb ihm eine Fremdsprache. Nach zwei Jahren ging er zurück nach Berlin. Das war der Start in eine große Karriere. Immer arbeitete Degen mit den Meistern des Metiers, mit Rudolf Noelte, Ingmar Bergman, Peter Zadek. Und immer ging es ihm um das Höchste, den Wahrheitsgehalt der Sprache, die in ihrem Gestus den Reichtum einer ganzen Figur offenbaren kann.
Mit derartigen Fähigkeiten wurde und wird schnell einer zum alten Eisen geworfen. Degen zog sich zurück, es langweilten ihn die Modernisierungsversuche der nach seiner Meinung oft nur präpotenten Regisseure. Zudem hatte er eine neue Berufung entdeckt: das Schreiben. Mit der Autobiografie „Nicht alle waren Mörder“ startete er erfolgreich ins Leben eines Schriftstellers. Sein zuletzt erschienenes Buch, „Der traurige Prinz: Roman einer wahren Begegnung“, ist die Psycho-Studie des Schauspielers Oskar Werner.
Natürlich blieb Degen vom Fernsehen nicht verschont. Hier lagen Gutes („Geheime Reichssache“) und Banales („Diese Drombuschs“) dicht beieinander. Schließlich musste er, wie der dreimal Verheiratete sagte, Geld verdienen für seine Kinder. Und noch heute kann man sich an ihm in den Donna-Leon-Krimis als eitlen Vice-Questore Patta erfreuen.