Rudolf Buchbinder hat sich in seiner Karriere so intensiv und künstlerisch überzeugend mit Beethoven auseinandergesetzt wie kaum ein anderer lebender Künstler. Aber es soll sie geben, diese Tage, an denen selbst die Meister nicht von der Inspiration geküsst werden. Und man ertappt sich bei der Frage, ob dieser große Pianist das Fünfte Klavierkonzert nicht doch ein paar Mal zu viel gespielt habe. Das Publikum in der Isarphilharmonie ist anderer Meinung und jubelt frenetisch. Es ist aber nichts Neues, dass die Wahrnehmung vernebelt wird, je größer der Heldenstatus ist.
Apropos Nebel: den Kadenz-Beginn hat man von Buchbinder schon sauberer und pedalärmer gehört. Sicher, die Triller gelingen wunderbar, wie es überhaupt kaum fehlerhafte Noten gibt – allein: Es fehlt an Drive, Idee, Überraschung. Alles fließt gut geschmiert, ohne zu berühren. Als Zugabe der Finalsatz aus der „Sturm“-Sonate: grob zupackend, Schnellkraft wagend, Flirrendes zulassend – das, wonach man sich zuvor gesehnt hat.
Nach der Pause dann die 15. Sinfonie von Schostakowitsch, die letzte des Komponisten, in der er sein Leben Revue passieren lässt. Zum einen ganz plakativ mit Zitaten (Rossini, Wagner und eigene Werke). Zum anderen im Duktus insgesamt: nach dem verspielten Beginn überwiegt das Tragisch-Düstere.
Dirigent Gianandrea Noseda hat die komplexe Partitur gut im Fokus, fächert Blech, Holz und Streicher zu wundersamen Gebilden, sei es solo oder im vertrackt-rhythmischen Konglomerat. Da jault und blitzt, seufzt und knackt es, dass man am Schluss die Zähne (und Knochen) klappern hört: schaudervoll-fulminant. JOHANN JAHN