Eigentlich sollte schon 2020 das Jahr seines großen Durchbruchs werden: Mit Anfang 30 wollte der österreichische Regisseur Valentin Schwarz Richard Wagners Mammutwerk, den „Ring des Nibelungen“, inszenieren. Und zwar nicht irgendwo, sondern in Bayreuth. Corona machte ihm da einen Strich durch die Rechnung – doch in diesem Jahr soll es mit zweijähriger Verspätung nun endlich so weit sein. Schon im vergangenen Sommer wurde auf dem Grünen Hügel für die vier Opern geprobt.
Wie wird er denn, Ihr „Ring“?
Bayreuth als Ort und Erbe bedingen, dass wir mit diesem Monumentalwerk eine durchgehende Story, eine hochaktuelle Erzählung in einer sich rapide ändernden Zeit erschaffen wollen. Diese 15 Stunden „Ring“ in einer Woche werden hier zu einer vierteiligen Serie, in der man die Mitglieder und ungebetenen Gäste einer Großfamilie von Episode zu Episode verfolgt. Mit ihren irritierenden Einsichten und überraschenden Strategien, wie jeder und jede mit dem Unvermeidlichen – dem Niedergang, dem Tod – umgeht. Ich will eine Geschichte von heutigen Menschen, heutigen Figuren, heutigen Problemen erzählen und keine von Göttern, Zwergen, Riesen und Drachen.
Der „Ring“ als Netflix-Serie?
Total! Ich möchte, dass die Leute nach dem „Rheingold“ rausgehen und wissen wollen, wie es weitergeht mit den Figuren. Wie nach einem Pilotfilm, der viele Fragen aufwirft, vieles anteasert und gespannt macht auf das, was da noch kommt – auch wenn man vielleicht noch nicht alles sofort einordnen kann. Dass der „Ring“ in Bayreuth innerhalb nur einer Woche komplett aufgeführt wird, gibt uns die Möglichkeit, ein Familienepos in vierteiligem Serienformat zu zeigen und diesen Figuren in ihren Verhältnissen und Versäumnissen durch die Zeitläufte zu folgen. Wo kommen sie her? Wo gehen sie hin? Menschenschicksale in all ihrer Tragik, Komik und mit ihren Träumen, die an der Wirklichkeit zerschellen. Es ist totaler Humbug, zu sagen, Wagner sei zu lang und zu laut. Wenn überhaupt, dann ist der „Ring“ zu kurz. Ich wünsche mir auf jeden Fall, dass die Leute rausgehen aus der Inszenierung und sagen: Ich freue mich auf die zweite Staffel.
Was sind die zentralen Themen Ihrer kleinen „Ring“-Serie?
Es geht ja um ewig aktuelle menschliche Probleme – um Neid, Verstrickungen, Habgier, Lust und Brutalitäten innerhalb von Dynastien und die heikle Frage der Nachfolge. Dazu begibt sich jede Figur auf eine Sinnsuche. Irgendwann kommt für jeden das Nichts, das Vergessenwerden, und jeder entwickelt seine eigene Strategie, dagegen anzukämpfen – durch Macht, Besitz, Reichtum, Gewalt, Schönheit oder Nachkommenschaft. Wir sind, moralisch betrachtet, aus Graustufen zusammengesetzt. Auch die sogenannten Bösewichte haben mit etlichen Problemen zu kämpfen.
Ihr Vorgänger als „Ring“-Regisseur, Frank Castorf, hat vier nur sehr lose zusammenhängende Opern auf die Bühne gebracht mit ganz unterschiedlichen Ästhetiken. Sie haben da jetzt gewissermaßen das Gegenkonzept?
Wagner versuchte ja mit allen Mitteln, dieses monumentale Gesamtkunstwerk, diese Collage aus verschiedenen Mythen und Stoffen durch eine faszinierende musikalische Formstrenge und Leitmotivik zusammenzuhalten. Diese Besessenheit und Ehrgeiz möchten wir nicht mutwillig konterkarieren, sondern diese Gesamterzählung in einer einheitlichen Ästhetik präsentieren, ohne damit einen geschlossenen Weltentwurf verfolgen zu wollen, der die Schicksale als übergreifendes Ideendrama betrachtet.
Wie groß ist der Druck, der auf Ihren jungen Schultern lastet?
Die Aufmerksamkeit ist natürlich riesig. Für mich persönlich ist das nach meinem „Ring“-Award 2017 ein weiterer Höhepunkt. Wer sich auf Bayreuth einlässt, muss sich auch auf diese ganz spezielle Aura einlassen und sich trotz der ungewohnten Öffentlichkeit immer daran erinnern, dass der Fokus auf der Arbeit liegt. Natürlich herrscht in Bayreuth – auch im Publikum – das geballte Wagner-Wissen. Aber eben auch eine sympathische Offenheit und leidenschaftliche Neugier, gerade weil die Festspiele den Werkstattgedanken so groß schreiben. Hans Neuenfels, der leider gerade gestorben ist, ist das beste Beispiel dafür. Sein Ratten-„Lohengrin“ ist mit dem Publikum gewachsen. Es war ein Zusammenfinden. Natürlich prallen erst mal Barrieren im Kopf aufeinander, beim Publikum und auch bei den Künstlern. Aber die große Stärke von Bayreuth ist auf beiden Seiten eine ästhetische Offenheit und die Fähigkeit zur Selbstkorrektur.
Das Gespräch führte Britta Schultejans.