Flexibilität ist für Kulturschaffende nicht erst in den vergangenen beiden Jahren unverzichtbar geworden. Beim Münchner Ensemble Vodeon waren das spontane Reagieren und der Austausch mit anderen Genres ohnehin schon immer Teil des Konzepts. Altistin Hana Katsenes und Tenor Berthold Schindler bilden hier zusammen mit dem Dirigenten Clayton Bowman den kreativen Kern, um den sich je nach Projekt Künstlerinnen und Künstler unterschiedlicher Hintergründe in immer neuen Konstellationen zusammenfinden.
„Natürlich haben wir einen festen Stamm von Leuten, die wir schätzen und mit denen wir immer wieder gerne zusammenarbeiten“, sagt Schindler. „Trotzdem lässt einem diese Struktur künstlerisch mehr Freiheit.“ Das aktuelle Programm, das am Freitag in der Sendlinger Himmelfahrtskirche zu erleben ist, hat man nun unter das Motto „Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn“ gestellt. Ein Zitat des Wiener Psychologen und Holocaust-Überlebenden Viktor Frankl, der nicht zuletzt durch sein autobiografisches Buch „… trotzdem Ja zum Leben sagen“ bekannt wurde.
Ausgehend von Frankls Texten wird zunächst eine Brücke zurück zu Hermann Levi geschlagen. Zu jenem Dirigenten also, dem Richard Wagner trotz zahlreicher antisemitischer Äußerungen ausgerechnet die Uraufführung seines „Parsifal“ anvertraute. Dass Levi mehr ist als nur eine kuriose Fußnote in der Wagner-Sekundärliteratur, steht für Schindler außer Zweifel. „Er hat inzwischen ja schon eine erste kleine Aufwertung erfahren, weil sich auch die Akademie des Bayerischen Staatsorchesters nach ihm benannt hat.“
Dies könne aber nur ein erster Schritt gewesen sein. „Wir wollen wirklich dafür werben, sich einmal genauer anzuhören, was Levi selbst komponiert hat“, meint Schindler. „Weil es einfach gute Musik ist, die es absolut verdient, aufgeführt zu werden.“ Unterstützt werden er und Katsenes bei diesem Projekt einerseits von Rebeka Stojkoska und Rudi Spring am Klavier, aber auch von Lina Witte und Daniel Holzberg, die den Abend mit Texten von Sigmund Freud und Alma Schindler abrunden.
Letztere ist neben Frankl und Levi ein weiterer dramaturgischer Anker. Und dies nicht nur durch Lieder oder Texte ihrer Lebensabschnittspartner Gustav Mahler oder Franz Werfel, sondern ebenfalls mit eigenen Kompositionen. „Wir wollen daran arbeiten, dass Alma endlich diesen Musen-Status los wird“, sagt Schindler. „Wenn man sich die Berichte von Zeitzeugen anschaut, wird schnell deutlich, wie fasziniert alle von der Stärke dieser Frau waren. Spätestens da muss man eigentlich hellhörig werden und endlich anfangen, an der angestaubten Lesart ihrer Person zu rütteln.“
Verbindungsglied zwischen den unterschiedlichen Klangwelten ist unter anderem Almas Musiklehrer und späterer Liebhaber Alexander von Zemlinsky. Schindler: „Wir haben versucht, den Abend als eine kleine Reise zu gestalten. Wir starten ganz traditionell in der deutschen Romantik, ehe dann Zemlinsky eine dramaturgische und biografische Brücke zu Alma und Gustav Mahler schlägt.“ Dabei wurden Dichter ausgesucht, mit denen sich auch Levi beschäftigt hat – um zu vergleichen, wie die Komponisten mit einer poetischen Vorlage umgehen.
Angst, dass Vodeon durch derartige Projekte zu Spezialisten fürs Nischenrepertoire abgestempelt werden, hat Schindler nicht. „Die Pandemie hat gezeigt, dass wir uns schon Gedanken machen müssen, wie man ein Konzert zeitgemäß gestalten kann, ohne sich dabei selbst zu sehr zu verbiegen.“ In der aktuellen Saison bringt Vodeon viele unterschiedliche Konzepte von Oper und a cappella bis zum Liederabend. Zusammengearbeitet wird mit Vertretern aus Tanz oder Schauspiel. „Wenn man um einen Kern herum immer neue Dinge bastelt, passiert es ganz von selbst, dass man neue Wege beschreitet.“
Konzert
an diesem Freitag, 20 Uhr, in der Sendlinger Himmelfahrtskirche;
www.muenchenticket.de.