„Kiew gegen Moskau!“

von Redaktion

Dirigentin Oksana Lyniv protestiert, Kollege Valery Gergiev vor USA-Tournee

VON MARKUS THIEL

Drei Worte sind es nur, mit denen Oksana Lyniv die Bilderreihe kommentiert. „Jeder muss verstehen“, schreibt die ukrainische Dirigentin unter den Eintrag auf ihrer Facebook-Seite. Die obere Reihe zeigt Klöster und Kirchen aus Kiew, die untere das immer gleiche Waldgebiet zur angeblich selben Zeit. Die Botschaft: Während bei uns in der Ukraine Hochkultur herrschte, gab es in Russland nichts. Und dann noch drei Worte: „Kiew gegen Moskau!“

Seit Wochen nimmt die 44-Jährige intensiv teil an der Debatte um Wladimir Putins Aggressionspolitik. Sie gedenkt der „Himmlischen Hundert“, die 2014 auf dem Majdan-Platz starben, sie feiert den ukrainischen Tag der Einheit, sie beschreibt „das Gefühl der Hilflosigkeit“, wenn das friedliche Leben „nur aufgrund des Willens eines Diktators“ zerstört wird. Oksana Lyniv, einst Kirill Petrenkos Assistentin an der Bayerischen Staatsoper, jetzt Chefdirigentin in Bologna und vergangenen Sommer die erste Frau am Bayreuther Pult, bangt um ihre Heimat.

Trotz ihrer internationalen Karriere ist sie dort weiter aktiv. Sie belässt es also nicht bei Diskussionsbeiträgen, sondern leitet seit 2017 das von ihr initiierte Kulturfestival LvivMozArt in Lwiw (Lemberg) und gründete das Ukrainische Jugendsymphonieorchester. Die selbstbewusste Künstlerin fühlt sich, das hat sie immer wieder betont, der Ukraine verpflichtet. Zugleich begreift sie das Land als Teil eines nicht nur kulturellen Europas, in dem es einen „europäischen Geist“, ein gemeinsames Verständnis für Humanismus gebe.

Mit einer ganz anderen Rolle muss sich derzeit ihr Kollege Valery Gergiev herumschlagen. Vom gebürtigen Moskauer und Chef der Münchner Philharmoniker ist zwar seit einiger Zeit keine politische Äußerung mehr zu vernehmen. Aber seine große Putin-Nähe wird ihm gerade jetzt wieder zum Vorwurf. Der 68-Jährige hat indes dazugelernt. Vorbei die Zeiten, als er sich etwa in München um Kopf und Kragen redete auf einer Pressekonferenz über ein homophobes russisches Gesetz. Doch die Bilder, die ihn an der Seite Putins zeigen, verschwinden nicht aus dem kollektiven Gedächtnis.

Derzeit tourt Gergiev mit den Wiener Philharmonikern. Das Pikante: Ab diesem Freitag soll in den USA konzertiert werden. Zunächst dreimal in New York,, dann zweimal in Naples (Florida). In den vergangenen Jahren gab es in New York regelmäßig Proteste gegen Gergiev. Die dürften in diesem Jahr heftiger ausfallen. Offiziell wollen sich die Wiener Philharmoniker nicht zu der Situation äußern. Man rechne aber fest mit Demonstrationen, ist aus dem Orchester zu hören. Für die Tournee sei dies der schlechtestmögliche Zeitpunkt.

Bei seinen Münchner Philharmonikern will Gergiev wieder ab 17. März auftreten. Nach derzeitigem Stand bleibt es dabei. Gergiev sei auf keiner Sanktionsliste, die ihm die Einreise verbietet, heißt es. Noch. Wer ins Orchester hineinlauscht, spürt aber Unsicherheit. Wie es mit Gergiev in den kommenden Wochen und Monaten weitergehen kann und wird, das ist offen. Weniger ein politisches Abrücken ist gemeint, eher Praktisches: Kann der Chef weiter einreisen? Wird es in München zu Protesten kommen?

Brennend wird das Thema Gergiev spätestens im kommenden Jahr. Sein Münchner Vertrag läuft im Sommer 2025 aus. Ob dieser verlängert wird, muss mit entsprechendem Vorlauf, also in den nächsten Monaten entschieden werden. Gergievs Verdienste um den Interims-Gasteig in Sendling sind unstrittig. Doch wurde bereits die vergangene Verlängerung von den Grünen abgelehnt – die jetzt stärkste Stadtrats-Fraktion sind. Auch stellt sich die Frage, ob die zu neuem Selbstbewusstsein erwachten Philharmoniker überhaupt einen solchen Namen brauchen. Genügend Alternativen haben sie in vielen Konzerten schon ausprobiert.

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