„Die Diskussion nicht verhärten“

von Redaktion

Peter Lund über das Blackfacing in „Jonny spielt auf“ am Gärtnerplatz

1928 sorgte die Münchner Erstaufführung der Oper „Jonny spielt auf“ von Ernst Krenek für einen Skandal. Nationalsozialisten und andere Rechtsradikale sorgten mit Krawall und Stinkbomben dafür, dass vorzeitig der Vorhang fallen musste. Denn Jonny ist ein afroamerikanischer Jazzmusiker. Was sogar in New York großen Erfolg hatte, war in München nicht möglich. Knapp 100 Jahre später widmet sich das Gärtnerplatztheater wieder dem Stück, Premiere ist heute. Regie führt Peter Lund, ein Fachmann im Musical, wo er zudem als Autor erfolgreich wirkt. Doch auch in Oper und Operette ist der gebürtige Flensburger zuhause.

Othellos Hautfarbe kann man ignorieren und sein Außenseitertum anders darstellen. Bei Jonny geht das nicht. Hier ist die Hautfarbe von zentraler Bedeutung. Sie haben aber keinen afroamerikanischen Sänger. Wie gehen Sie damit um?

Wir beziehen uns auf die Premiere von 1928, wo das Stück eben auch ein Politikum war und von der Bühne gefegt wurde, nachdem es an der Wiener Staatsoper kurz vorher schon die ersten Proteste gab. Natürlich haben wir viel über das Thema Blackfacing geredet. Aber für mich war es zwingend, die Situation von damals historisch genau abzubilden. Also einen weißen Sänger schwarz zu schminken. Wenn ich das mit einem Schwarzen besetzt hätte, wäre es ein ganz anderes Bild. Dann würde ich behaupten, 1928 hätten schwarze Sänger in Deutschland gesungen. Das wäre gelogen und Geschichtsverzerrung. Daher sieht man mal wieder seit langer Zeit ein schwarz bemaltes Gesicht auf der Bühne des Gärtnerplatztheaters.

Jonny wird zum Dieb. Dennoch ist er eine positive Figur, der eigentliche Gewinner, was sicher auch die Proteste damals befeuert hat. Er bringt die Neue Musik, die Zukunft der Musik, wenn man so will…

Deswegen ist es ja fast ärgerlich, dass das Thema Blackfacing so dominiert. Natürlich ist das generell sehr wichtig, darüber zu sprechen, aber es darf keinen eindimensionalen Blick auf das Werk schaffen. Krenek hat damals alle Themen auf die Bühne gebracht, die aktuell waren. Der Komponist Max, die andere Hauptfigur, der trotz seiner Anbindung an die europäische Musikgeschichte nach etwas Neuem sucht, sich aber nicht traut. Anita als wunderbar sexuell befreite Künstlerin. Yvonne als berufstätige Frau, die sich nichts gefallen lässt. Und Jonny, für mich eine Figur wie der Figaro, der zwar die Geige des Europäers Daniello klaut, aber Krenek sagt: Er darf das! Weil das die Vitalität ist, die da über den Großen Teich kommt. Und da war Krenek doch visionär, denn die Jazzmusik hat nun mal tatsächlich das 20. Jahrhundert viel mehr bestimmt als Herr Schönberg.

Oft wird „Jonny spielt auf“ als Jazzoper bezeichnet. Trifft das zu?

Krenek hat den Begriff ja selbst abgelehnt. Er wusste, dass er sich den Jazz nur ausgeliehen hat. Er ist kein Gershwin, der in etwa zur selben Zeit berühmt wird und diese Kunstform maßgeblich weiterentwickelt. Bei Krenek sind die „klassischen“ Sachen, zum Beispiel die Szenen am Gletscher, weit differenzierter komponiert als der Jazz. Das ist aber auch nicht maßgeblich, denn die Jazzszenen machen großen Spaß und den Abend zu einer kaleidoskopartigen Collage des Musiktheaters der damaligen Epoche.

Sie haben den Gletscher angesprochen. Es gibt auch eine Eisenbahn, eine Autofahrt: Wegen dieser Bühneneffekte war „Jonny“ seinerzeit auch so beliebt. Wie gehen Sie damit um?

Ich bewundere seine Genauigkeit, wie präzise, fast filmartig er Szenen konzipiert hat. Natürlich könnten wir mit heutigen technischen Mitteln diese Effekte viel realistischer darstellen. Aber wir haben uns entschieden, auch da historisch heranzugehen. Dadurch ist es viel schöner geworden. Wenn ich eine Auto-Verfolgungsjagd sehen will, kann ich ins Kino gehen. Aber zu erleben, mit wie wenigen Mitteln damals so etwas gemacht wurde, finde ich viel reizvoller.

Beim Publikum werden sich die Gefühlswelten von 1928 – ob positive Überraschung und tiefe Empörung – nicht rekonstruieren lassen. Was ist Ihr Ziel? Was wollen Sie auslösen?

Am allermeisten möchte ich erzählen, dass der Nationalsozialismus uns etwas ganz Kostbares weggenommen hat: die Leichtigkeit. Deutscher Humor war ja noch nie Weltspitze, aber wir waren ziemlich gut in den Zwanzigerjahren, nicht zuletzt durch unsere jüdischen Mitbürger. Das Schlimmste, was man der unterhaltenden Kunst antun kann, ist, sie zu korrumpieren. Weil sie dann beschädigt wird. Und das finde ich eine andere Bosheit der Nazis, die man oft nicht so sieht. Alles, was ambivalent, frech, uneindeutig war, ist verschwunden. „Jonny“ ist so eine bezaubernde Spieloper, die unglaublich frech, wie Offenbach, mit politischen Themen spielt. Und jetzt sitzen wir schon wieder in so einer verhärteten Diskussion, in der „Jonny“ Gefahr läuft, wieder nicht gespielt zu werden, weil sich keiner ans Thema Blackfacing herantraut. Ich will nicht der Diskussion ausweichen, aber ich möchte das Thema von mehreren Seiten betrachten. Und auch dafür brauchen wir Theater.

Das Gespräch führte Maximilian Maier.

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