Nein, das Feiern haben die Musicalfans im Deutschen Theater zum Glück nicht verlernt. Und mal ehrlich: Was wäre eine „Rocky Horror Show“ ohne kräftige Publikumsbeteiligung? Ohne Konfetti und knatternde Ratschen, ohne Federboas, Gummihandschuhe? Und ohne die Wasserpistolen, mit denen man den Regen simulieren und die üblichen Adabeis in den vorderen Reihen etwas ärgern kann?
Okay, mit den gesalzenen Zwischenrufen klappt es bei der Premiere am Mittwoch erst, nachdem Erzähler Sky du Mont das Publikum bei der Ehre packt. Einmal aus der Reserve gelockt, geht es dann aber umso heftiger ab. Wodurch der erfahrene „Rocky“-Veteran reichlich Gelegenheit bekommt, sich gewohnt schlagfertige Wortgefechte mit den Leuten im Saal zu liefern. Auch jenseits von du Monts nonchalanten Auftritten wirkt die vertraute Inszenierung von Sam Buntrock, die schon mehrfach an der Schwanthalerstraße Station gemacht, frisch wie am ersten Tag. Schließlich hat der Regisseur die Show noch einmal überarbeitet, der neuen Besetzung auf den Leib geschneidert und dabei ein wenig entschlackt, um die Inszenierung zu ihren „dreckigen“ Off-Theater-Wurzeln zurückzuführen. Daran dürfte sich im Lauf der Serie auch der manchmal etwas diffus abgemischte Ton noch etwas mehr orientieren.
Wiederholungstäter dieser inzwischen selbst Kult gewordenen Produktion mögen vielleicht das eine oder andere aufwendigere Dekorationsteil vermissen. Doch der Fokus auf die Figuren tut der Geschichte durchaus gut. So dürften etwa Sev Keoshgerian und Claire Keenan das mit Abstand beste Paar sein, das man hier bislang als Brad und Janet erleben konnte. Beide schrauben den liebenswerten Nerd-Faktor bis zum Anschlag hoch, vermitteln dank eines überragenden Timings aber nie das Gefühl, einfach nur die bestens bekannten Pointen abzuspulen. Dass dabei sowohl Keenan als auch Keoshgerian als Janets herrlich belämmert aus der Wäsche blickender Verlobter in der erotisch knisternden „Floor Show“ stimmlich den Turbo zuschalten können, macht die Besetzung endgültig perfekt.
Gleichzeitig war diese Premiere eine Feuertaufe für das Ensemble, aufgrund einer Erkrankung durften Declan Egan und Charlotte Anne Steen als Coverbesetzungen kurzfristig für Riff Raff und Magenta aufrutschen: Egan mit allerlei skurrilen Verrenkungen, während seine Bühnenschwester den Abend souverän, mit einer von poppigen Riffs durchzogenen Variante von „Science Fiction, Double Feature“ eröffnete. Ebenso schnell ins Herz geschlossen hat man die quietschig-quirlige Columbia von Eleanor Walsh und Ryan Goscinski als muskelbepackten, treudoofen Titelhelden. Etwas zu brav ist dagegen Jordan Castle bei seinem Auftritt als Rocker Eddie. Doch kann er in seiner Doppelrolle als Dr. Scott („Huuuu!“) wieder Punkte gutmachen.
Bleibt noch einer. Der, auf dessen Auftritt alle warten. Hausherr Frank’n’Furter, der beim stimmgewaltigen Oliver Savile bestens aufgehoben ist. Mit platinblonder Perücke und subtiler Mimik gelingt ihm das Kunststück, sich bereits nach wenigen Sekunden aus dem Schatten des „Originals“ Tim Curry zu lösen und der ikonischen Rolle einen eigenen Dreh zu verleihen. Savile ist weniger der alles dominierende Ober-Transylvanier, sondern wirkt manchmal eher wie ein großes, im positivsten Sinne naives Kind, das die Folgen seines egoistischen Handelns nicht immer abschätzen kann. Der große Erkenntnismoment im „Going home“ kommt da umso bewegender über die Rampe, ehe es zum Finale auch im Saal kein Halten mehr gibt und zur Reprise des „Time Warp“ endlich mitgetanzt wird. Nicht nur damit liefert die Show eine derzeit wahrscheinlich von vielen dringend benötigte Portion gute Laune.
Weitere Vorstellungen
bis 3. April; Karten unter tickets. deutsches-theater.de.
Regisseur Sam Buntrock hat die Show überarbeitet
Zum „Time Warp“ gibt es im Saal kein Halten mehr