Sie sind urkomisch, sie liefern eine brillante Show, und sie reißen das Publikum im GOP mit. Wer der fidelen Truppe des neuen Programms „Circus“ zuschaut, mag kaum glauben, dass die 14 Künstler und Artisten momentan ganz andere Sorgen haben, als gute Laune zu verbreiten. Denn 13 von ihnen kommen aus der Ukraine. Sie bangen um ihre Brüder und Väter, um ihre Schwestern und Mütter in der von Russland überfallenen Heimat. Umso größer ist das Staunen über einen famosen Abend, an dem von den Nöten der Stars auf der Bühne nichts zu spüren ist. Als Fazit bleibt: Oh mein GOP, wie tapfer sind diese Menschen!
Eigentlich hätte „Circus“ schon als Weihnachtsprogramm 2020 laufen sollen. Doch dann kam der zweite Corona-Lockdown. Die Ukrainerinnen und Ukrainer harrten noch bis Februar 2021 in München aus und reisten dann unverrichteter Dinge ab. Nun sind sie endlich zurück. „Das war die längste Pause zwischen der ersten Probe und der Premiere, die wir je hatten“, erklärt Theaterdirektor Peter Weil. Und nun, wo die Seuche auf dem Rückzug ist, ist Krieg.
Bis kurz vor ihren Auftritten und dann wieder gleich danach schauen die Stars des Circus-Theaters „Bingo“ aus Kiew hinter den Kulissen auf ihre Handys – immer in der Hoffnung, dass es keine schlimmen Nachrichten von zu Hause gibt. Aber wenigstens für die 90 Minuten auf der Bühne sind sie abgelenkt und können Geld für die Heimat verdienen. Dabei sind sie jeden einzelnen Cent wert.
„Circus“ ist so quicklebendig, bunt und liebevollst inszeniert, wie man es selbst im GOP noch selten erlebt hat. Dieser Zirkus verdient die Krone. Licht und Musik von Gianna Nannini bis zu Songs, die an ukrainische ESC-Beiträge erinnern, sind herausragend gelungen. Und wenn es der ESC wäre, würde gelten: Ukraine, twelve points! Teilweise ist auf der Bühne so viel los wie auf einem Wimmelbild von Ali Mitgutsch. Da fahren alle fünf Sinne Achterbahn, und man fragt sich: Wo soll man zuerst hinschauen (und hinhören)? Ausgerechnet der Star des Abends ist kein Ukrainer, sondern Russe – was für ein Zeichen für Frieden und Völkerverständigung!
Der legendäre Clown Edouard Neumann alias „Eduardissimo“, bestens bekannt aus dem Roncalli, muss nur ganz leise „Jaaa jaaa“, „Ha ha ha ha ha“ oder „Aua“ wispern, und schon haben ihn die Zuschauer lebenslänglich ins Herz geschlossen. Selbst mit über 50 kann er noch tanzen wie einst Michael Jackson. Aber genau genommen ist die turbulente Truppe mit ihren Jongleuren, Akrobaten und Komikern eine Pracht, allen voran die biegesgewisse Anna Pieies. Die „Schlangenfrau“ sieht Anatomie nur als Serviervorschlag und bringt ihren Körper sensationell durcheinander. Am Ende weiß niemand mehr, wo bei ihr oben und unten ist – außer (hoffentlich) sie selbst. Für Anna und all die anderen Stars in der GOP-Manege gilt frei nach Clown „Eduardissimo“: Ukrainissimo!
Weitere Vorstellungen
bis 1. Mai;
www.variete.de/muenchen.