Visionäres

von Redaktion

Zeitgenössisches beim Kammerorchester

Auf Laien wirken Dirigenten manchmal wie Staffage. Die Wahrheit ist bekanntlich: Die Primi inter Pares halten den Laden zusammen. Umso erstaunlicher ist die vom Münchener Kammerorchester im Prinzregententheater zelebrierte Musizierpraxis – nämlich als größeres Ensemble gleichsam kammermusikalisch zu interagieren.

Beim fünften Abonnementkonzert führte Konzertmeister Daniel Giglberger das schwarmintelligent interagierende Kollektiv durch ein österreichisches Programm von der Romantik bis in den Expressionismus: vom entrückt-verklärten „Adagio“ aus Anton Bruckners Streichquartett F-Dur und schmissigen Tänzen des jungen Franz Schubert über Franz Schrekers registerreiches Intermezzo op. 8 und Alexander von Zemlinskys verschattetes „Waldgespräch“ bis zur Orchesterversion von Arnold Schönbergs epochalem zweitem Streichquartett. Letztere beiden Komponisten reicherten ihre Werke durch eine Singstimme an, den Part übernahm Caroline Melzer von der erkrankten Christina Landshamer – und überzeugte mit ihrem leuchtenden, raumgreifenden Sopran.

Durchdringend intonierte sie bei Zemlinskys Eichendorff-Vertonung die Loreley, mit Stefan George fühlte sie „Luft von anderen Planeten“, die Schönberg bei seinem visionären Schritt in die musikalische Moderne inspirierte. Der Begründer der Zweiten Wiener Schule wusste: „Die Zukunft wird ja zeigen, wer wessen Zeitgenosse war.“ Dass wir selbst Genossen einer besonderen Zeit sind, demonstrierte das Orchester, indem der österreichische Schmäh von einem Stück interpoliert wurde, das sozusagen ins Programm migriert ist: der stille „Walzer des Augenblicks“ des ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov fügte sich wunderbar ein und verlieh dem Abend echte Zeitgenossenschaft. ANNA SCHÜRMER

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