„Ich bin kein Guru“

von Redaktion

Dirigent Riccardo Minasi gastiert in München mit einem Mozart-Programm

VON MARKUS THIEL

Nur damit das geklärt ist: Es handelt sich wirklich um seine Terrasse über den Dächern Roms, auf der Teile des Videos entstanden. Mit Grillzange und Wurst ist da Riccardo Minasi zu sehen, wie er das Magnificat von Carl Philipp Emanuel Bach dirigiert. Ein Image- und Mutmach-Video war das vor zwei Jahren, mit dem das Salzburger Mozarteumorchester und sein italienischer Chef Licht in den Lockdown brachten. Vor allem aber verrät es viel vom Humor dieses Künstlers und von seiner spielerischen, auch überrumpelnden Art, mit Musik umzugehen.

In die Barock- und Klassik-szene bringt Minasi damit eine eigene, sehr notwendige Farbe. Alles fällt bei ihm zusammen: Witz, unbändige Musizierlust, eine Hyper-Emotionalität und ein immenses Wissen, mit dem alle diese Details und Pointen historisch begründet werden. Nachzuhören ist das vor allem auf den CDs mit dem Hamburger Ensemble Resonanz, das sich Minasi als ständigen Gastdirigenten geholt hat. Mozarts drei letzte Symphonien, vor zwei Jahren veröffentlicht, erfüllen eine Idealvorstellung: Das klingt tatsächlich so, als höre man die Hits das erste Mal – was Minasi und die Hamburger nun auch in München vorführen wollen.

Mozart begleite ihn ohnehin seit seiner Geburt, sagt Minasi. Sogar noch länger: „Meine Mutter war Opernsängerin. Als ich in ihrem Bauch war, dürfte ich also einiges gehört haben – auch wenn ich mich nicht mehr genau daran erinnere.“ Zunächst wurde der Römer Geiger, Spezialgebiet Barock. Als Konzertmeister bei bekannten Truppen der Branche und als Solist. Noch immer fährt Minasi doppelgleisig, obwohl er sich fest an drei Orchester gebunden hat, zu Hamburg und Salzburg kommt noch das Zürcher Ensemble La Scintilla. Und wer mit Letzteren die Aufnahme von Vivaldis fast totgenudelten „Vier Jahreszeiten“ hört, der klappt 40 Minuten lang den Mund nicht mehr zu.

Mit dem Hamburger Ensemble Resonanz verbindet Minasi eine längere, letztlich ideale Partnerschaft. Weil dieses Kammerorchester eigentlich auf Neue Musik geeicht ist, kann es sich dem traditionellen klassischen Repertoire ohne jegliche Routine nähern. „Ich nenne das Ensemble Resonanz immer eine verrückte Gruppe voller Idealisten“, sagt Minasi. „Wir diskutieren alles miteinander, probieren vieles aus, verwerfen, suchen neue Wege – es ist ein niemals endender Prozess.“ Neben der Referenzaufnahme der drei Mozart-Symphonien entstanden auf diese Weise hochgelobte Einspielungen der Cello-Konzerte von Carl Philipp Emanuel Bach, Haydns „Sieben letzte Worte“ und, im vergangenen Jahr, eine in ihrer Intensität so erstaunliche wie erschütternde Deutung von Pergolesis „Stabat Mater“.

Vielleicht funktioniert das alles so gut, gerade weil Minasi als Geiger weiß, was ein Orchester braucht. „Ich agiere von einer bescheidenen Position aus. Ich versuche zu verstehen. Und ich versuche zu vermitteln, was mich in den jeweiligen Stücken berührt.“ Dass sich sein Stil mit Vokabeln wie Energie und Emotionalität nur unzureichend erfassen lässt, ist gewollt. „Wir leben doch in einer Zeit der Vereinfachung, der Simplifizierung, das zeigen uns zurzeit auch politische Diskussionen.“ Nur richtig oder falsch sei gerade entscheidend, über mehr werde gar nicht mehr diskutiert. „Dabei ist die menschliche Existenz so komplex. Und auch jede Partitur als Werk eines Menschen ist wie eine heilige Sprache, die Komplexität braucht.“

Ob es trotzdem eine italienische Art gebe, sich etwa Mozart zu nähern? Minasi glaubt einerseits, das sei ein Klischee. „Unglücklicherweise“ könne man aber tatsächlich gewisse Tendenzen +ausmachen. „Vielleicht weil unsere Orchester im Gegensatz zu den österreichischen und deutschen etwas weniger Praxis bei dieser Literatur haben. Dafür können wir aber Erfahrungen einbringen, die wir über unsere Komponisten gewonnen haben.“

Immer häufiger wird Minasi auch von den traditionellen Tankern der Branche engagiert, vom Berliner Konzerthausorchester etwa, vom HR-Sinfonieorchester, vom römischen Orchestra dell’ Accademia Nazionale di Santa Cecilia oder vom BR-Symphonieorchester. Als Trainer aus dem Barockfach, der die bräsig gewordenen Edeltruppen fit macht für Barock und Wiener Klassik, versteht sich Minasi dabei nicht. „Ich brauche selbst und für mein Verständnis von Musik diese unterschiedlichen Klangsprachen der Orchester. Außerdem will ich kein Guru, kein Gelehrter sein.“ Jedes Ensemble habe seine eigene Natur, die müsse berücksichtigt werden – ohne jegliche Konfrontation.

Überhaupt findet Minasi, dass mit der Aufführungspraxis, die gemeinhin als „historisch informiert“ bezeichnet wird, viel zu stereotyp umgegangen werde. Einmal stand er am Pult eines bekannten Orchesters („Ich sage keinesfalls welches“) und war erschrocken, als er die ersten, wie künstlich erzeugten Töne vernahm. „Wir spielen ohne Vibrato, weil man uns gesagt hat, dass es bei diesen Stücken so sein muss“, habe Minasi als Erklärung serviert bekommen. Daraufhin klärte er die Musikerinnen und Musiker auf, wie viele verschiedene Abstufungen von Vibrato und sogar Tremolo historisch verbürgt seien. „Es ist wie beim guten Essen: Über die Dosierung kann man ja immer reden.“

Konzerte

im Prinzregententheater am 27. März, 15.30 Uhr, sowie am 28. März, 20 Uhr; Telefon 089/93 60 93

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