Schon schaurig, wenn die stadtbekannte Koryphäe der Archäologie selbst sachkundig ausgeweidet und umwickelt im Sarkophag des Museums liegt. Hat ihn der Fluch der Mumie ereilt, die er heimlich im ägyptischen Sand ausgrub, um sie nach Wien zu schaffen?
Der Münchner Oliver Pötzsch, Autor unter anderem der „Henkerstochter“-Reihe, lässt Lesern keine Zeit, sich gemütlich einzugraben in den zweiten Teil seiner „Totengräber“-Saga, der soeben erschienen ist. Der 51-Jährige wirft sie einfach hinein ins Wien des Jahres 1894, in einen Schmelztiegel aus Kulturen, Religionen, Standesschichten, dekadent und schmutzig zugleich, in eine rastlose Metropole, kurz vor dem Aufbruch in die Moderne. Und während eine von Pötzschs Hauptfiguren, der junge jüdischstämmige Inspektor Leopold von Herzfeldt, beginnt, das Rätsel um die bandagierte Leiche von Professor Alfons Strössner zu entwirren, lichtet Leopolds Herzdame Julia Wolf in ihrer neuen Funktion als Polizeifotografin in einem der dunklen Viertel der Donaustadt den Leichnam eines grausam entstellten Burschen ab.
Nur ein Strichermord? Es soll nicht bei diesen Toten bleiben – ein Serientäter geht um. Julia und Leopold können sich bei ihren verzwickten Ermittlungen auch dieses Mal auf den Expertenrat des schrulligen Totengräbers Augustin Rothmayer vom Zentralfriedhof verlassen, der soeben an einem neuen Buch über Totenkulte arbeitet. Sehr hilfreich, wie sich bald herausstellen wird.
Pötzschs große Stärke sind einmal mehr das hohe Erzähltempo und die Sorgfalt, mit der er das damalige Lebensgefühl, die Stimmung der Stadt, ihrer Leute und nicht zuletzt die thematisierten altägyptischen Bestattungsrituale zeichnet – das ist erneut akribisch recherchiert. Geschickt spinnt der Autor auch die kriminalistischen Fäden, die in einem ebenso unerwarteten wie furiosen Finale entwirrt werden, das nicht zufällig an den ikonischen Detektiv Hercule Poirot erinnert.
Es ist womöglich dieser atmosphärischen Dichte der Erzählstränge geschuldet, dass die aus dem ersten Band ans Herz gewachsenen Protagonisten Julia Wolf, Leopold von Herzfeldt und August Rothmayer in ihrer Zeichnung leicht an Tiefe und Wärme einbüßen. Dem Lesevergnügen insgesamt tut das freilich kaum Abbruch – ein idealer Grusel-Schmöker für verregnete Frühlingstage. Der Autor, übrigens ein Nachfahr der Schongauer Henkersdynastie Kuisl, ist an diesem Samstag mit musikalischer Begleitung im Münchner Hofspielhaus zu erleben.
Oliver Pötzsch:
„Das Mädchen und der Totengräber: Ein Fall für Leopold von Herzfeldt“.
Ullstein Verlag, Berlin, 448 Seiten; 16,99 Euro.
Lesung: Oliver Pötzsch liest an diesem Samstag, 20 Uhr, im Münchner Hofspielhaus, Falkenturmstraße 8; Restkarten unter www.hofspielhaus.de. Am 27. April, 20 Uhr, ist Pötzsch zugunsten der „Nothilfe Ukraine“ im Laimer Interim; Karten unter 089/54 67 41 11.