Dreikampf um Walhall

von Redaktion

Für Wagners „Walküre“ bietet Stuttgart gleich mehrere Regie-Teams auf

Was für ein Riesenglück für Bayreuths Stadtheiligen. Hätte Richard Wagner, wie die Kollegen aus Barock und Wiener Klassik, Nummernopern geschrieben, dann hätten die Stuttgarter sich wahrscheinlich entleibt. Für jede Arie, jedes Rezitativ, jede Zwischenaktmusik hätten sie einen eigenen Regisseur gesucht. Die ultimative szenische Offenheit und Zerhäckselung wäre das gewesen. Ein Glück: Der Mann hat bekanntlich alles durchkomponiert. Doch pro Akt ein Regieteam, auch das ist ja neu und wurde nun erstmalig an der „Walküre“ erprobt.

Die schwäbische Staatsoper treibt gerade die Idee ihres legendären „Ring des Nibelungen“ aus den Nullerjahren eine Umdrehung weiter. Damals redete jeder der vier Teile eine eigene Regiesprache. Das ist auch beim aktuellen Projekt so – bis eben auf Teil zwei, bis auf die nochmals gedrittelte „Walküre“. Endlich Befreiung von den Thesenpapieren, die 15 Wagner-Stunden in ein Konzept pressen wollen, signalisiert das. Weg von oft mühevollen Weltentwürfen, von vielschichtigen Erzählungen über die ganze Menschheit an sich, die an ihren eigenen Fehlern und im Weltenbrand zugrunde geht.

Nur: Genau darum geht es im „Ring“. Befreiung vom großbogigen Denken, das wird gerade in dieser „Walküre“-Premiere deutlich, heißt auch: Beliebigkeit und Bebilderung. Eine Flucht in die Ästhetisierung, ins bloße Ausmalen der Geschehnisse. Ins Negieren von Querbezügen, im Ignorieren des Woher und Wohin.

Wobei die drei Regieteams durchaus ihre Meriten haben. Per Live-Video schickt Hotel Modern in Akt eins Stoff-Ratten durch zerbombte Miniaturstädte. Das Konzept entstand schon vor dem Angriff auf die Ukraine. Trotzdem ist die Realität plötzlich da in der Staatsoper. Und es ist der wichtige Hinweis: Als bemitleidenswertes Gottesväterchen taugt Wotan nur bedingt, auch ihm geht es um die blutige Absicherung seiner Herrschaft.

So ausgefeilt das Dauer-Video ist, so sehr wurde das singende Personal vergessen. Nicht mal halbkonzertant ist das, was sich in den dichtesten 60 Minuten abspielt, die Wagner komponiert hat. Wesentlich intensiver ist Akt zwei. Urs Schönebaum zeigt ihn als dunkles Ritual. Wotan zwischen Ledermäntel-Hilfstruppen. Eine mordende Brünnhilde, Fackeln, wabernde Nebel, eine faszinierende Lichtregie. Das gibt hohe Schauwerte und raunt von ständig präsenter Gewalt. Akt drei, her- und hingerichtet von Ulla von Brandenburg, versackt dann im reinen Stehtheater vor und in knallbunter Pop-Art-Wellenlandschaft. Die von Wotan in ewigem Schlaf geküsste Brünnhilde gibt’s doppelt, zum finalen Feuerzauber aus dem Orchestergraben entschwebt ein Double im leuchtenden Ring.

Weil die Regie verstummt, kann Cornelius Meister sein Staatsorchester überdeutlich sprechen lassen. Es ist das bislang beste Wagner-Dirigat des Stuttgarter Generalmusikdirektors, der im Sommer den Bayreuther „Tristan“ leiten wird. Einen (über-)starken Gestaltungswillen hört man heraus, das Bewusstsein für Dramatik und Entwicklungsverläufe. Ein wissender Lustmusiker, der hier manchmal den Thielemann-Imitator gibt. Und gern, das zeigen robuste, raue Passagen, auch zu viel verlangt.

Wo Sängerinnen und Sänger szenisch ignoriert werden, bleiben sie unter ihren Möglichkeiten. Bei Michael König, diesem gebrochenen Siegmund-Bullen, ist das so. Bei Goran Jurić als grobkörnigem Hunding, auch bei der Starkstrom-Fricka von Annika Schlicht. Brian Mulligan rettet sich als Wotan mühsam über den Abend. Sein heller, fokussierter Bariton ist zu klein – eine Fehlbesetzung, für die nicht allein der Sänger verantwortlich gemacht werden kann.

Die problematische Premiere wird gerettet von einem Frauen-Duo. Simone Schneider, die eine erstaunliche, klug entwickelte Karriere macht, singt ihre Sieglinde mit substanzsatter, silbriger, sich Raum erobernder Stimme. Und auf dem kleinen Brünnhilden-Markt gibt es einen famosen Neuzugang: Okka von der Damerau, an der Bayerischen Staatsoper mit Mini- bis mittleren Rollen unterfordert. In Stuttgart nun singt sie das, was ihrer genuinen Wagner-Stimme gebührt. Das reiche, vielfarbige Timbre, die nie überreizte Dramatik, die natürliche Präsenz, die ausgreifende Geste – all das müsste Intendanten sofort zum Telefon greifen lassen. Die tief gelagerte Todverkündigung des zweiten Akts, wo andere Hochdramatische tricksen, ist ein Spaziergang für Okka von der Damerau. Akt drei wird von ihr dominiert. Zwei, drei nervöse, noch nicht vollständig abgesicherte Momente gibt es auch. Doch wer ein solches Debüt hinlegt, der ist im Wagner-Olymp angekommen. Die nächste logische Station: eine Isolde.

Weitere Aufführungen

am 18., 23. und 29. April sowie am 2. Mai; Telefon 0711/20 20 90

Nächste logische Rollen-Station wäre eine Isolde

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