Keimende Hoffnung

von Redaktion

Das „New Kreüterbuch“ von 1543 liegt als Prachtband vor

VON MICHAEL SCHLEICHER

In ihrem Buch „Vom Aufstehen“ erzählt Helga Schubert von Spaziergängen im Winter mit einem alten Freund, vorbei an „zugefrorenen Furchen des Ackers“, der freilich bereits die Pflanzen des Frühjahrs bewahrt. Dieser Gedanke an die „keimende Saat“ tröstete ihren Bekannten, schreibt die Autorin. Der Weg entlang des Feldes sei das „sinnliche Bild für seine Hoffnung, dass es weitergeht, dass unter der gefrorenen Erde neues Leben entsteht“.

Was bei Schubert „unsichtbare Gewissheit“ ist, wird bei Leonhart Fuchs zur offensichtlichen Pracht: Dieser Arzt, Forscher, Sammler und Begründer der modernen Botanik hat 1543 in seinem „New Kreüterbuch“ nicht nur rund 500 Pflanzen, ihre Eigenschaften und Herkunft in einem mächtigen Nachschlagewerk versiert versammelt und vorgestellt, sondern auch gewissenhaft deren heilkundliche Effekte notiert, deren „krafft und würckung“. Ein Meilenstein der Forschung seiner Zeit – und eine grandiose Feier all des Lebens, das in der Erde keimt.

Der Taschen Verlag hat diese Publikation nun als Nachdruck herausgegeben. „Das New Kreüterbuch“, das auf einem von Fuchs handkolorierten Exemplar basiert, das viereinhalb Jahrhunderte in makellosem Zustand überstand und in der Stadtbibliothek Ulm verwahrt wird, ist selbst ein Meisterwerk der Buchmacherkunst: Edel aufbereitet, haptisch ein Erlebnis und mit einem fundierten Begleitbuch ausgestattet, ist es ein Fest für Fans von Bibliophilem ebenso wie für Pflanzenfreunde, Medizin-Interessierte, Kunstfreaks.

Schließlich hatte Fuchs drei tolle Künstler engagiert: Albrecht Meyer und Heinrich Füllmaurer zeichneten die Pflanzen von der Wurzel bis zur Blüte und übertrugen die Bilder im Anschluss auf einen Holzstock. Formschneider Veyt Rudolff Speckle machte daraus die Druckplatte. Die filigrane, gewissenhafte und kunstvolle Arbeit der drei Männer beeindruckt bis heute – und trug mit zum Erfolg des Buches bei.

Leonhart Fuchs (1501-1566) wurde in Wemding unweit des Nördlinger Ries geboren. Gut 6000 Einwohner zählt der Ort aktuell. Im Begleitbuch schildert Klaus Dobat kurzweilig Leben und Wirken des Mannes, der die Botanik revolutionieren sollte. 1524 zum „Medicinae Doctor“ promoviert, praktizierte Fuchs auch zwei Jahre in München, wo er Ratsherrentochter Anna Friedberger heiratete. Nach Wanderjahren als Arzt, in Wissenschaft und Forschung, war er von 1535 an Medizinprofessor in Tübingen. Als Anhänger Luthers tat sich Fuchs als Erneuerer hervor – und ging Auseinandersetzungen dabei sicher nicht aus dem Weg. Einem Kontrahenten bescheinigte er einmal, dessen Veröffentlichungen taugten maximal für „Schaben und Motten“, wie Dobat launig notiert. Sein Essay sowie die pflanzen- und heilkundlichen Einordnungen des Pharmaziehistorikers Werner Dressendörfer runden die Neu-Veröffentlichung ab.

Übrigens: Fuchs veränderte mit seinen Werken nicht nur das Wissen der Menschen (nicht zuletzt der Laien!) über die heimische Kräuterwelt, sondern auch den Lehrbetrieb. Raus aus der Studierstube – rein in die Natur, forderte der Professor und schickte seine Studenten auf Exkursionen: Sie sollten „die Felder und Berge öfters besuchen und dabei das Aussehen der Pflanzen beobachten“. Das ist übrigens auch nicht die schlechteste Idee für einen Osterspaziergang. Wer dabei selbst ein Herbarium anlegen möchte: Mit seinen 4,77 Kilogramm eignet sich dieser Prachtband nicht nur zum Bestimmen, sondern auch zum Trockenpressen der Pflanzen.

Leonhart Fuchs:

„Das New Kreüterbuch“ mit Begleitbuch. Taschen, Köln, 892 Seiten; 125 Euro.

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