So einfach könnte die Helden- und Weltenrettung sein. Doch was nützt es, wenn im (O-Ton Richard Wagner) „wilden Felsengebirge“ T-Mobile und Vodafone versagen. Also: kein Handyempfang für die Wotanstöchter, erst wieder später, auf dem Walkürenfelsen, wo zum Walkürenritt gar lustig gedaddelt und gechattet wird. Was andernorts Regie-Todsünde ist, geht hier in Ordnung. Theaterzelt am Rande der Stadt, Mini-Budget plus Mini-Ensemble, eine Bühne mit rudimentärer Technik – unter solchen Bedingungen den „Ring des Nibelungen“ zu stemmen, ist der Wahnsinn. Und verlangt nach szenischen Kompromissen: Erstseher müssen das Opern-Monstrum verstehen. Und raumgreifende Regie ist in beengten Verhältnissen kaum möglich, kann auch schnell lächerlich werden.
Vor diesem Hintergrund ist Stefan Tilch, regieführender Intendant des Landestheaters Niederbayern mit den Spielorten Landshut, Passau und Straubing, sehr weit gekommen. 2019 startete er seinen „Ring“ mit dem „Rheingold“, ein Jahr später sollte die „Walküre“ herauskommen. Die Produktion schaffte es aus bekannten Gründen nur bis zur Generalprobe am 15. März 2020. Im Rückblick nimmt Tilch die Verschiebung mit Humor: „Jetzt wickeln wir’s in Alufolie“, habe er sich gedacht, „legen’s in den Kühlschrank und gucken, wie’s schmeckt, wenn wir’s wieder auspacken.“
Premiere war also erst jetzt im Landshuter Ausweichzelt, da das schmucke Stadttheater seit Jahren der Sanierung harrt. Und gemundet hat es mal leidlich, mal ausgesprochen gut. Augenzwinkern, da hat Tilch Recht, hilft auch bei einem Eros- und Pathos-satten Vierstünder. Vieles wird aufs muntere, schlüssig erzählte Kammerspiel eingedampft. Manches erlebt man als Notlösung. Und in der wichtigen Todverkündigung werden auch Grenzen überschritten. Brünnhilde wirft sich vor Siegmund, dem sie die Aufnahme in Wotans Jenseitsarmee mitteilt, genervt in Posen. „Nicht schon wieder die Nummer“ suggeriert das – und zielt an Gehalt und Bedeutung des Moments vorbei.
Ansonsten machen Tilch und Bühnenbildner Karlheinz Beer aus dem Kompromiss eine Tugend. Wieder bestimmen verschiebbare Bücherwände die Bühne. Symbol fürs Weltwissen ist das und auch vielsagender Brennstoff: Im ersten Akt wärmen sich Sieglinde und Siegmund am Feuerchen, im Finale liegt die von Wotan in Schlaf versetzte Brünnhilde auf einem von Flämmchen umzüngelten Stapel. Die Videos von Florian Rödl liefern Handlungsergänzung – von der Hetzjagd auf Siegmund im Vorspiel bis zum „Was bisher geschah“ im Monolog Wotans. Und hier, wenn der Göttervater vor einer Weltkugel nur noch das Ende will, oder im geschickt ausgeleuchteten Schlussbild, hat man glatt vergessen, dass man in einer Mini-Version des Circus Krone sitzt.
Obwohl: Man hört es noch. Wegen der schwierigen Akustik und weil die Niederbayerische Philharmonie selbst in der reduzierten Orchesterfassung alles überdröhnen könnte, wird mit Mikroports gesungen. In den ersten beiden Akten gewöhnt man sich dran, im dritten wird’s zum Anschlag auf die Ohren. Vor allem weil gestandene Stimmen beteiligt sind. Darunter die herb-intensive Sieglinde von Peggy Steiner, Aaron Cawley mit seinem bronzenen, verschatteten Siegmund-Tenor, Yamina Maamar als vokal silberglitzernde, nie forcierende Brünnhilde oder Stephan Bootz als ultracooler Wotan, der seine Phrasen wunderbar fies einfärben kann und den man den Ekel auf sich selbst und das Weltende abnimmt.
Dirigent Basil H. Coleman beschränkt sich anfangs auf (notwendige) Lotsendienste. Die Tempi sind wohltuend hoch. Je länger der Abend, desto freier und dramatischer gelaunt wird er. „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ kommen in den nächsten Spielzeiten, bevor Tilch und Coleman 2026 ihre Koffer packen müssen. Der Theaterverbund lässt nach zwei Jahrzehnten ihre Verträge auslaufen. Man wünscht sich neue Impulse. Eine Enttäuschung, die beide im Premierenjubel kurzzeitig vergessen durften.
Weitere Vorstellungen
am 27. April in Straubing, am 29. April, 13. und 15. Mai in Landshut sowie am 29. Mai, 10. und 12. Juni in Passau; Karten unter landestheater-niederbayern.de.
Die Pandemie verhinderte die Premiere 2020