Anton Bruckner war ein großer Organist, und er war ein großer Symphoniker. Beide Talente des 1824 geborenen Oberösterreichers führt Hansjörg Albrecht, Dirigent, Organist und Chef des Münchener Bach-Chores, nun auf seine Weise zusammen: Er ist dabei, alle Symphonien Bruckners auf der Orgel einzuspielen. Bis zum 200. Geburtstag des Meisters im Jahr 2024 soll das Mammutprojekt vollendet sein.
Wie kamen Sie auf diese Wahnsinnsidee?
Seit meiner Debüt-CD bei Oehms 2006 habe ich mich zunehmend auf Orgeltranskriptionen spezialisiert. Ich habe Werke und Zyklen von Bach, Händel, Vivaldi, Wagner, Liszt und Berlioz bis hin zu Mussorgsky, Rachmaninow, Strawinsky, Holst und Poulenc eingespielt. Vor zwei Jahren bekam ich von meinem Label nun die Anfrage für dieses herrliche Langzeitprojekt.
Wie beschafften Sie sich das Noten-Material?
Als die Anfrage kam, musste ich erst einmal die Logistik einer solch umfangreichen Unternehmung überschlagen und viel recherchieren, habe aber dann freudig zugesagt. In Erwin Horn, dem mittlerweile über 80-jährigen Komponisten und ehemaligen Organisten der Würzburger Augustinerkirche, fand ich einen kompetenten Fachmann, der mich sehr aktiv unterstützt. Er bearbeitete Bruckners „Nullte“ sowie die ersten drei Symphonien und erzählte mir, dass diese Riesenaufgabe wie eine Frischzellenkur auf ihn gewirkt habe. Von ihm folgen noch die Fünfte, Siebte und Neunte. Die Vierte liegt in einer Fassung des Wieners Thomas Schmögner vor, die Sechste und Achte steuert Eberhard Klotz aus Stuttgart bei.
Wie stellt man sich als Einzelkämpfer einer solchen Herausforderung?
Zunächst suchte ich nach einem prominenten Schirmherrn. Als ich las, dass Christian Thielemann eine große Sympathie für die Orgel hat und dieses Instrument auch ursprünglich einmal erlernen wollte, kontaktierte ich ihn. Er sagte zu, worüber ich mich außerordentlich gefreut habe. Zudem sind wir hin und wieder im fachlichen Austausch, und ich kann von seinen aktuellen Bruckner-Erfahrungen mit den Wiener Philharmonikern und der Staatskapelle Dresden profitieren.
Die „Nullte“ haben Sie in der Stiftskirche St. Florian bei Linz, wo Bruckner Singknabe war und viele Jahre als Organist wirkte, eingespielt. Werden alle CDs dort realisiert?
Nein. Auch wenn ich nicht die Original-Orgeln spiele, an denen Bruckner saß, so folge ich doch wichtigen Stationen seines Lebenswegs und begebe mich mit ihm auf Reisen. Zum Beispiel nach Paris, wo er 1869 gastierte, nach München, London oder Prag, nach Leipzig, Luzern und natürlich nach Linz und in den Wiener Stephansdom, in dem inzwischen eine der größten Orgelanlagen Europas steht.
Welche spieltechnischen Herausforderungen bieten diese Transkriptionen?
Solche Transkriptionen gehen in ihren technischen Anforderungen weit über die originale Orgelliteratur hinaus und bedeuten eine enorme Herausforderung.
Wie halten Sie es mit der Registrierung? Gibt der Bearbeiter sie vor?
Es gibt die Originalpartitur mit den klanglichen Intentionen Bruckners. Das Einregistrieren am jeweiligen Instrument, das heißt die klangliche Übertragung und Umsetzung, übernehme ich selbstverständlich selbst. Gottlob gibt es an allen Orgeln, die ich nutze, neueste elektronische Speichersysteme. Bei ungefähr tausend Klangkombinationen ist das sehr hilfreich.
Sie gesellen auf Ihren CDs jeder Symphonie weitere Werke hinzu.
Ja, als Auftakt erklingen Orgeltranskriptionen von anderen Werken Bruckners – bei der „Nullten“ zum Beispiel eine Ouvertüre in g-Moll. Darüber hinaus war es mir wichtig, den Bogen zur zeitgenössischen Musik zu schlagen. Deshalb öffnen wir auf allen CDs ein „Bruckner-Fenster“. Darin setzen sich europäische Komponisten wie Philipp Maintz, Oscar Jockel, David Matthews, Johanna Doderer, Françoise Choveaux, Andrea Lorenzo Scartazzini und Thomas Daniel Schlee mit Bruckner auseinander.
Wie finanziert man ein so aufwendiges, kräftezehrendes wie bündelndes Unterfangen?
Ich forciere ein sich mehr und mehr erweiterndes „Bruckner-Netzwerk“ für dieses Projekt. Und natürlich sind wir dabei auf großzügige Sponsoren, Förderer und Stiftungen angewiesen.
Wie versuchen Sie, ein breites Publikum für diese Spezial-Aufnahmen zu gewinnen?
Zuerst einmal, indem ich all die großartigen Werke in Konzerten spiele. Begleitend dazu gibt es unterschiedliche Werbemaßnahmen über die Sozialen Netzwerke, über Youtube, das Internationale Online Orgel Festival und etliche Musikzeitschriften. Außerdem ist für 2024 ein umfangreicher Bruckner-Bildband geplant. Das Ganze gipfelt in einem Dokumentarfilm, der vom ORF fürs Jubiläumsjahr produziert wird. Speziell für das Jubiläumsjahr 2024 plane ich darüber hinaus einen ganzen internationalen Konzertreigen und arbeite an der Realisierung eines kompletten Orgel-Zyklus mit allen Bruckner-Symphonien in Wien.
Das Gespräch führte Gabriele Luster.
Anton Bruckner:
Symphonien d-Moll („Nullte“) sowie Nr. 1, 2 und 3 mit „Bruckner-Fenstern“ von Philipp Maintz, Oscar Jockel, David Matthews, Johanna Doderer. Hansjörg Albrecht, Orgel (Oehms).