Er fehlt

von Redaktion

Jack Nicholson, der heute seinen 85. Geburtstag feiert, lebt komplett zurückgezogen

VON ZORAN GOJIC

Er war dann mal weg. Einfach so. Jack Nicholson, dreifacher Oscar-Preisträger und über vier Jahrzehnte einer der größten Stars des Kinos, hörte nach 2010 auf, Filme zu drehen. Dabei hatte er noch mal aufgedreht im Alter und mit „Departed“ (2006) oder „Das Beste kommt zum Schluss“ (2007) weltweit Erfolge gefeiert und – wie üblich – Rekordgagen ausgehandelt. Doch dann verkrümelte er sich ohne Ankündigung oder offiziellen Abschied in sein legendäres Anwesen in den Hollywood Hills und tat: gar nichts.

Jedenfalls behauptet er das in seinen wenigen öffentlichen Statements. Gut, ab und an besucht er das Nachbarhaus, das er erworben hat, um seine exquisite Kunstsammlung zu lagern. Ansonsten genießt er das Alleinsein. Vielleicht macht er das auch heute so, an seinem 85. Geburtstag. Nicht einmal essen gehen wird er, das nervt ihn seit jeher, deswegen beschäftigt Nicholson schon lange seinen eigenen Koch. Die sagenumwobenen Partys, bei denen ziemlich jeder Filmschaffende von Rang sturztrunken auf dem Boden oder – sofern weiblich – im Bett von Nicholson landete, sind lange Geschichte.

Keine rauschende Feier also und geheimnisvolle Stille bei der Sphinx Nicholson. Dieses lautlose Verblassen passt so gar nicht zu der aufsehenerregenden Karriere und den spektakulären Nebengeräuschen, die Nicholson bereits sehr früh den Ruf eingebracht haben, nicht nur ein Ausnahmetalent zu sein, sondern auch ein „Hellraiser“, wie das im Englischen so hübsch umschrieben wird, wenn einer hemmungs- und maßlos das Leben genießt. „Jack the Jumper“, der notorische Frauenheld, Säufer, das Feierbiest – diesen Mann gibt es offenbar nicht mehr. Viele Gerüchte wabern, angeblich soll er schwer erkrankt sein, aber dafür gibt es keine Belege. Womöglich gibt es schlicht nicht mehr die Rollen, die ihn reizen, denn er hat den Anspruch, Besonderes abzuliefern und nicht nur Beiwerk zu Computertricks zu sein. Nicholson ist der Spezialeffekt in einem Film, so sieht er das und so war es auch.

Den Drang, im Vordergrund zu stehen, zu gefallen, hatte er seit jeher, obwohl oder vielleicht weil er eher klein und unscheinbar ist. Aufgewachsen als unehelicher Sohn einer minderjährigen Mutter (man ließ ihn im Glauben, seine Mutter sei seine ältere Schwester), zieht es Jack schnell aus dem provinziellen New Jersey in die Traumfabrik nach Hollywood. Er beginnt klassisch als Botenjunge in einem Studio, besucht die Schauspielschule, will aber eigentlich Drehbuchautor und Regisseur werden. In Roger Cormans trashigen Genrefilmen bekommt er erste Rollen und lernt das Handwerk gründlich in Horrorfilmen oder Actionreißern, aber die Karriere stagniert ein Jahrzehnt. Erst 1968 gelingt ihm eher zufällig mit dem Außenseiterprojekt „Easy Rider“ der internationale Durchbruch – Nicholson mopst mit seiner manischen Darstellung den eigentlichen Stars Dennis Hopper und Peter Fonda die Show und nutzt im Nachgang die Gunst der Stunde. Mit feinem Gespür wählt er nicht immer die kommerziellsten Angebote, sondern jene, die ihm Raum bieten, sein Charisma auszuspielen.

Die Siebzigerjahre werden ein einziger Triumphzug: „Five Easy Pieces“, „Das letzte Kommando“, „Chinatown“, allesamt Meisterwerke, in denen Nicholson unvergessliche Szenen liefert. Für „Einer flog über das Kuckucksnest“ holt er sich 1976 den ersten, lange verdienten Oscar und meistert in der Folge das Kunststück, viel Geld zu verdienen – ohne sich zu verkaufen. Nicholson wird eine Marke, ein Star im Wortsinn. Man sieht sich Filme an, weil Nicholson mitspielt. Wenn der Regisseur nicht aufpasst, nutzt der Schauspieler das weidlich aus und schlägt über die Stränge. Stanley Kubrick lässt Nicholson deswegen bei „Shining“ einzelne Aufnahmen dutzende Male wiederholen, um sein Ego zu bändigen, wofür der ihm später dankbar sein wird.

Aber es sind gar nicht so sehr die grellen, lauten Rollen, wie in „Shining“, sondern eher leise, intime Auftritte wie in „About Schmidt“ (2002), in denen Nicholson sein außergewöhnliches Können zeigt. Aufdrehen und den Nicholson geben, das kann er im Tiefschlaf: Schön zu beobachten in dem Kassenschlager „Eine Frage der Ehre“ (1992), in dem er seinen ganzen Furor mühelos in einen recht kurzen Auftritt packt und dem Film damit seinen Stempel aufdrückt.

Nie wieder wird man das von ihm sehen. Eine Schande, aber der Mann aus den Hollywood Hills mag nicht mehr. Wir vermissen sein Haifischlächeln.

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