Geschichtenerzähler mit Gitarre

von Redaktion

INTERVIEW Joe Satriani über sein neues Album, Science-Fiction und seine Kompositionen

Joe Satriani ist nicht nur einer der angesehensten Gitarrenlehrer der Welt, bei dem etwa Steve Vai und Kirk Hammett von Metallica zur Schule gingen. Der 65-jährige US-Amerikaner gilt auch als einer der erfolgreichsten Instrumentalisten. Er lotete stets die Klang-Möglichkeiten der Gitarre aus – und bleibt dabei nicht in der Nische für Nerds. Seine Alben kommen immer in die Charts und verkauften sich bislang mehr als zehn Millionen Mal. Soeben ist sein 18. Album „The Elephants of Mars“ (siehe Seite 15) erschienen, über das wir mit Joe Satriani sprachen.

Bei jedem Lied Ihres neuen Albums steht ein mystisches Zeichen. Was hat es damit auf sich?

Als junger Mensch war ich sehr interessiert an Formen geschriebener Kommunikation, dabei wurde ich von Dingen beeinflusst, die ich in der Schule gelernt habe, aber auch von der Popkultur. Die Idee etwa, dass Außerirdische die Welt besuchten und Schriften hinterließen, oder dass Leute von Geistern besessen sind und in unbekannten Sprachen schreiben… Ich glaube daran nicht, aber es fasziniert mich als Kunstform. Hinzu kommt, dass ich eine schreckliche Handschrift habe. Ich bekam es in der Schule nie so hin, wie es erwartet wurde, also habe ich es anders versucht – und wurde kunstvoll: Ich schuf eine eigene Schrift. Irgendwann begannen die Leute, meine Zeichen „Außerirdischen-Schrift“ zu nennen. (Lacht.) Das ist aber alles nur Spaß und hilft, von den echten Problemen der Welt abzulenken.

Die Science-Fiction ist aber bekannt dafür, gerade in unbekannten, künftigen Welten die Situation von heute zu reflektieren.

Stimmt, das hat mich immer fasziniert bei der Lektüre entsprechender Bücher. Sie erinnern an die guten und schlechten Aspekte der Menschheit, während sie mehr oder weniger realistische Zukunftsszenarien entwerfen. Das ist sowohl Ablenkung als auch Warnruf. Musik dient in einer ähnlichen Weise. Ich möchte Musik machen, damit Menschen feiern können, quasi als Soundtrack für viele Momente in ihrem Leben. Gleichzeitig aber können die Songs auch auf etwas Wichtiges hinweisen.

Worauf weisen die Songs auf „The Elephants of Mars“ hin?

Seit einigen Jahren haben die Menschen, besonders hier in den USA, eine falsche Vorstellung davon, wer eigentlich für Probleme sorgt. Politische Bewegungen haben die Leute aufgehetzt; man hat Sündenböcke gesucht für alle möglichen Sorgen. Insofern gibt es zum Beispiel Elefanten, die Rockmusik spielen, um die Menschen darauf aufmerksam zu machen, was sie tun, nämlich die Natur aus wirtschaftlichen Gründen zu zerstören. Das gilt natürlich auch für Menschenrechte, für die Frage nach der Gleichberechtigung und andere Themen. Viele Menschen lassen sich allzu leicht verführen, nicht mehr an diese Dinge zu denken.

Sie erzählen mit Ihren Liedern Geschichten ohne Gesang und damit ohne Text. Wie verändert sich dabei Ihre Art der Komposition?

Wenn ich etwa mit Chickenfoot (die US-Band hat Satriani 2008 gegründet; Anm. d. Red.) arbeite, dann lasse ich einen riesigen Raum für Sammy Hagar, den Sänger (ehemaliger Frontmann von Van Halen; Anm. d. Red.). Wenn ich mit der Gitarre aber die komplette Geschichte allein erzählen soll, muss ich auf eine ganze Bandbreite von Technikern zurückgreifen. Man darf zum Beispiel an manchen Stellen, wenn man etwa die Melodie des Songs spielt, nicht zu viele Noten anschlagen, sonst wird dieser Part zu einem Solo. Man muss stattdessen sehr klar spielen, wie ein Sänger eben. Wenn das Stück beispielsweise von einem Feuer handelt, muss ich überlegen, wie ein Feuer klingt, und kann dabei also nicht irgendwelche Noten spielen. Andererseits möchte ich aber auch, dass ein Raum entsteht für die eigenen Vorstellungen des Hörers.

Die können sehr weit auseinanderliegen…

Nehmen wir „Sahara“, das erste Stück der Platte. Jeder darf sich da in die Wüste hineindenken. Eigentlich geht es mir aber um einen Menschen, der seelisch total verloren dasteht mitten in der Nacht in einer großen Stadt. Er findet niemanden, und alles um ihn herum ist zerstört. Das aber zum Titel zu machen, hätte vielleicht die Menschen zu sehr runtergezogen. Letztendlich ist diese Person aber so verloren, als wäre sie alleine in der Sahara.

Ist das nicht ein wenig wie Schummeln?

(Lacht.) Das habe ich gelernt bei Sängern wie John Lennon. Er sang oft einen Text, während seine Stimme eigentlich etwas ganz anderes vermittelte. Ich fand das immer faszinierend, zwei Aussagen auf einmal zu senden.

Sie sind „Star Trek“-Fan. In einem Film fragt Dr. McCoy Mister Spock, als sie die Beastie Boys hören, ob das klassische Musik sei. Wollen Sie in ein paar hundert Jahren auch als klassischer Komponist in Erinnerung sein?

Oje. (Lacht.) Ich wäre sehr überrascht, wenn man sich dann noch an mich erinnert. Wenn man zurückblickt, dann sind es immer nur eine Handvoll Leute, an die man sich erinnert. Die Geschichte hat ihre eigene Art zu filtern. Um 1800 gab es etwa zwei Milliarden Erdenbewohner. All die Hoffnungen, Probleme, Leistungen jedes Einzelnen sind heute vergessen. Wir kennen Beethoven oder irgendeinen Präsidenten. Vielleicht erinnert man sich mal an Justin Bieber. (Lacht.) Das sollte für einen Künstler aber nie die Motivation sein, sonst schränkt man sich zu sehr ein. Wichtig ist, heute Anerkennung zu bekommen.

Das Gespräch führte Antonio Seidemann.

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