Eine Frage des Gefühls

von Redaktion

Das Deutsche Historische Museum Berlin beschäftigt sich mit Richard Wagner

VON SABINE DULTZ

„Wenn Du etwas vollkommen Verrücktes lesen willst, solltest Du Dir Richard Wagners neues Pamphlet ansehen, ,Das Judenthum in der Musik‘. Ich habe noch nie etwas so Gewalttätiges, Eingebildetes und Ungerechtes gelesen. In Deutschland wird viel darüber gesprochen.“ Das schreibt 1869 Victoria, die Schwiegertochter Wilhelms I. und spätere Kaiserin an der Seite Friedrichs III., an ihre Mutter, die Königin von England. Nachzulesen in der Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“ im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums Berlin. Bis heute hat man nicht aufgehört, darüber zu sprechen. So erstaunt es auch nicht, dass diese durchaus komplizierte Schau auf ein großes Besucherinteresse stößt.

Richard Wagners (1813-1883) stets dreist ausgestellter Antisemitismus deckt sich mit seiner ebenso schamlosen deutschnationalen Gesinnung. Das Unwägbare dieser unheilvollen Allianz ist das Genie des Komponisten, die Erfindung einer ganz und gar neuen Musiksprache, das vollkommene Werk, das bis in unsere Gegenwart Publikum und Opernschaffende, egal welcher politischen Couleur, ob Nationalisten, Faschisten oder Kommunisten, in seinen Bann zieht. Immer, so die Intention der Ausstellungsmacher, spielt das sogenannte deutsche Gefühl eine Rolle.

Laut Kurator Michael P. Steinberg gehe es dabei einmal um die Art und Weise, wie Wagner sein Publikum lehrte zu fühlen, womit eine total neue Ästhetik verbunden war. Zum anderen, wie er sein Publikum lehrte, deutsch zu fühlen. Denn in seinen Augen sei die einzig wahre Musik die deutsche; nur sie habe die Fähigkeit, innere Gefühle, innere Wahrheiten auszudrücken. Um das anschaulich zu machen, ist die Ausstellung in vier Gefühlskategorien unterteilt: Entfremdung, Eros, Zugehörigkeit, Ekel.

Zur Untermauerung der These von Wagners deutscher Gefühlsschöpfung wartet die Schau mit Musik, wunderschönen Bühnenbildmodellen, Fotos und Schriften, Partituren, Briefen und Pamphleten auf. Dazu noch einige neckische Ergänzungen wie ein bestickter Seidenhausschuh des Komponisten, seine Massenbestellung von Eau de Cologne 4711, modische Auslassungen zu Samt und Seide, der Gipsabdruck seiner rechten Hand: Devotionalien eben. Anschaulich wird erzählt von der Wandlung des steckbrieflich gesuchten Barrikadenkämpfers und Revolutionärs zur kapitalistischen Marke Richard Wagner mit erfolgreichem Mehrwert-Anspruch seiner eigenen Person. Dazu mag auch seine Erkenntnis gehören, dass die alte Oper, wie er sie in seiner Pariser Zeit erlebt hat, ausgespielt habe. Neues müsse her: „Ich will mich als deutsch verstanden wissen.“ Sein Schlüssel zum Erfolg.

Zwei Kabinette stehen in der Ausstellung zur Verfügung, in denen jeweils abwechselnd Opernausschnitte die einzelnen Gefühlsabteilungen künstlerisch belegen sollen. Zum Thema „Entfremdung“ sind es der „Holländer“, „Lohengrin“ und „Tannhäuser“. Es folgen „Der Ring“, „Tristan und Isolde“, „Parsifal“, „Die Meistersinger“. Das aber ist alles nur sehr dezent wahrnehmbar, die Klänge untermalen hintergrundmäßig und unaufdringlich den gesamten Ausstellungsraum.

Begehren und Besitzen, das sind Richard Wagners Hauptziele; angekommen zu sein im großbürgerlichen Lager, verbunden mit der Nivellierung von Ehe und anderen Liebesverpflichtungen und mit dem Recht eines Künstlers seines Schlages, sich außerhalb jeglicher gesellschaftlichen Norm zu behaupten. Er wird der geniale Vermarkter seiner selbst und mischt gewinnbringend öffentliche und private Bereiche, Emotion und Geschäft. Durch die Reichsgründung 1871 fühlt sich Wagner in seinem Anspruch an eine deutsche Kunst bestätigt. Das Deutschtum wird jetzt auch im Kaiserreich politisch offiziell großgeschrieben. Kunst als Gemeinschaftserlebnis, einer Gemeinschaft, die andere Menschen ausschließt. Die Folgen sind bekannt. Die Bayreuther Festspiele als Höhepunkt nationalsozialistischer Propagandapolitik.

Das alles lässt sich schriftlich gut darstellen – durch Texttafeln und Originaldokumente, zudem optisch aufgelockert durch ein paar schöne Gemälde, „Reitende Walküren“ von Carl Emil Doepler, „Bismarck als Schmied des Deutschen Reichs“ von Franz von Lenbach, ebenso sein Porträt Hermann Levis und von besonderer Faszination Hans Thomas „Siegfried und Mime“ in der Feuersbrunst.

Aber was ist mit dem „deutschen Gefühl“? Lässt sich Gefühl in einer Ausstellung überhaupt verdinglichen? Hat Wagner das „deutsche Gefühl“ geprägt? Oder wurde Wagner von ihm geprägt? Ist die Zeit ein Produkt des Komponisten? Oder ist der Komponist ein Produkt seiner Zeit? Und welche Rolle spielt das Genie? Wie lässt sich das in dieser Schau versinnbildlichen? Gar nicht. Es bleibt theoretische Behauptung. Da helfen auch nicht die zum Thema eigens geführten und eingespielten Interviews mit Sängerin Waltraud Meier und Regisseur Stefan Herheim.

Bis 11. September,

Mo.-So. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr,

Deutsches Historisches Museum, Pei-Bau, Berlin; freier Eintritt bis 18 Jahre, Tagesticket acht Euro, reduziert vier Euro, erster Sonntag im Monat freier Eintritt; www.dhm.de. Begleitbuch zur Ausstellung (Verlag wbg Theiss): 32 Euro.

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