Im anderen München

von Redaktion

Das gelungene Jugend-Drama „Eisbachwelle“ in der Schauburg

VON ULRIKE FRICK

An der Eisbachwelle im Englischen Garten treffen sie sich regelmäßig. Verbringen Zeit miteinander. Feiern. Trinken. Streiten sich. Vertragen sich wieder. Schmieden Pläne für die Sommerferien. Ronja (Lucia Schierenbeck), Rafik (Janosch Fries) und Paula (Helene Schmitt) sind ein unzertrennliches Trio. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten sieht die Freundschaft der Jugendlichen ganz anders aus: Als Ronja nicht wie verabredet erscheint für den gemeinsamen Trip in den Süden, irgendwohin ans Meer, wissen die anderen gar nicht, wo sie wohnt und wie sie mit Nachnamen heißt.

Was erzählen wir anderen? Was verheimlichen wir lieber? Diesen Fragen geht das Drama „Eisbachwelle“ nach, das Autor Florian Wacker für die Münchner Schauburg geschrieben hat. Der Autor, Film- und Theater-Regisseur Johannes Schmid hat aus den verrätselten Text-Fragmenten mit behutsamer Hand ein Panorama des modernen München erstellt.

Da reiten die Polizisten durch den Englischen Garten, da kommen der müde Taxifahrer vor dem P1 oder die altgediente Surferin zu Wort und erzählen wie geflüchtete Jugendliche von „ihrem“ München, das von Neuperlach und Feldmoching handelt und weniger von Oktoberfest und Prinzregentenstraße. Von einer Stadt fernab der Klischeebilder in Weiß-Blau, dafür voller Unbehauster, an den Rand Gedrängter und voller Teenager, die überall lieber sein wollen als daheim.

Ausstatter Michael Kraus hat eine vielseitig nutzbare Bühne ersonnen. Auf drei Seiten eingerahmt von Holztribünen sitzen, springen, stehen, klettern und turnen die Schauspieler auf ebensolchen, variablen Tribünenteilen herum. Wetzen in irrem Tempo zwischen den Sitzreihen hinauf und hinunter oder robben in Schwimmbewegungen über den nackten Boden in der Mitte.

Schmid gelingen starke Bilder von hoher Symbolkraft. Auch die Projektionen bieten viel Raum für die eigene Fantasie: Sind die mal grün, mal grauweiß oder in verschiedenen Blautönen unterlegten Videoaufnahmen jetzt eher Zellen, Chlorophyll, heftig bewegtes Wasser einschließlich Wellen, Strudeln und Luftblasen oder Blutplättchen unter dem Mikroskop? Es steckt viel drin, in diesem assoziationsstarken Stück. Jeder Zuschauer ab zehn Jahren wird in dieser herausfordernden Inszenierung den eigenen Blick geweitet wissen.

Schmid und Wacker animieren zum Mitdenken. Sie wollen vielfältige Perspektiven vorstellen und sich nicht auf eine finale Deutung festlegen. Beim Blick auf die Stadt ebenso wenig wie bei dem auf die spannungsreich arrangierten Charaktere. Ist Ronja abgehauen, weggezogen oder verunglückt? Ist Rafik in sie verliebt? Oder doch in Paula? Nichts ist definitiv erklärbar, alles ist in Bewegung, verändert sich und fließt wie auf den Wasseraufnahmen an den Wänden. Wie in frisch geschlossenen Freundschaften. Wie einfach überall im Leben.

Nächste Vorstellungen

am 26., 27., 28., 29. und 30. April sowie am 2. Mai;

www.schauburg.net.

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