Die Kraft des Theaters

von Redaktion

Intendantin Barbara Mundel über die Kammerspiele zwischen Corona und Krieg

Sie hat ihren Job als Intendantin der Münchner Kammerspiele mitten im ersten Jahr der Pandemie angetreten: Seit September 2020 leitet Barbara Mundel die städtische Bühne an der Maximilianstraße. Wir haben die 63-Jährige um eine erste Bilanz dieser Zeit gebeten. Wie lässt sich ein Theater zwischen Corona und dem Krieg in der Ukraine positionieren?

Sie sind seit zwei Jahren an den Kammerspielen – und seither quasi ständig im Krisenmodus. Sie fingen im ersten Pandemiejahr an, Corona ist noch nicht vorüber – da greift Russland die Ukraine an und bringt den Krieg nach Europa.

Ja, es ist ein permanenter Krisenmodus. Ich fand das erste Jahr, als wir uns wegen Corona nicht sehen durften, besonders anstrengend: Theater im Homeoffice ist ein absurder Vorgang. Die ganzen Sicherheits- und Isolationsmaßnahmen kommen mir im Rückblick wie ein wahr gewordener Albtraum vor. Und gerade, als wir dachten, jetzt können wir anfangen, die Pandemie zu reflektieren und in Produktionen die Frage zu stellen, was diese Zeit mit uns gemacht hat, begann der Krieg in der Ukraine.

Gab es in den zwei Jahren mal den Punkt, an dem Sie dachten: „Jetzt mag ich nicht mehr…“?

„Mag nicht mehr“ nicht – aber viele Fragen haben mich schon seither umgetrieben. Zum Beispiel: Ist es richtig Theater zu machen, obwohl die Menschen Angst haben?

Wie kann man sich daraus befreien?

Wir waren ein Team, das die Corona-Maßnahmen immer wieder durchdacht und neu umgesetzt hat. Das war eine große Hilfe: Wenn man nicht mehr konnte, haben wir uns gegenseitig aufgefangen.

Es gab die Zeit, da durften Sie für 25 Prozent Auslastung spielen bei 2G-plus.

Da war ich wirklich gerührt, was die Menschen in dieser Phase der Pandemie auf sich genommen haben, um ins Theater zu gehen. Wir haben jeden Einzelnen gefeiert! Dass die Leute das gemacht haben – das ist keine Selbstverständlichkeit. Das hat motiviert! Denn alles war besser, als wieder in den Lockdown zu müssen.

Seit Kurzem dürfen Sie voll auslasten. Für eine Bilanz ist es zu früh – aber wie reagiert Ihr Publikum?

Wir sind noch lange nicht da, wo wir hinwollen. Es ist keine Katastrophe, aber es wird ein bisschen dauern, bis die Menschen zurückkommen.

Zögern die Menschen, weil sie vom Theater entwöhnt sind – oder weil sie Angst vor Ansteckung haben?

Eine gewisse Entkoppelung nicht nur vom Theater, sondern vom Leben hat sicher während der Pandemie stattgefunden. Dieser Rückzug ins Private, auf die Couch – auch in die Einsamkeit! –, das hat etwas mit den Menschen und unserer Gesellschaft gemacht. Ich wünsche mir, dass wir das „Social Distancing“ überwinden, das sich bis in die Köpfe und Herzen geschlichen hat.

Kann das Theater dabei helfen?

Ich glaube an die Kraft des Theaters, und natürlich ist Theater ein Ort der Begegnung, des sozialen Miteinanders. Aber ich kann auch verstehen, wenn manchen Menschen ein ausverkauftes Haus derzeit noch zu eng ist. Wenn ich an manche Exzesse der Vor-Corona-Zeit denke, stelle ich mir tatsächlich die Frage: Wohin wollen wir zurück? Der Krieg in der Ukraine ist dabei eine ganz neue Herausforderung mit neuen Fragen.

Zum Beispiel?

Welche Art von Begegnungen mit anderen Menschen wollen wir? Wie können wir es als Gesellschaft bewältigen, dass „Fake News“, Desinformationen und Lügen von manchen Kräften bewusst eingesetzt werden? Darüber sollten wir – auch am Theater – diskutieren.

Künstlerisch haben Sie derzeit einen guten Lauf: gute Kritiken, Einladung zum Theatertreffen, nach Mülheim, zum Heidelberger Stückemarkt, zu den Berliner Autorinnentheatertagen, den Bayerischen Theatertagen…

Nach fast einem Jahr des Nichtgesehenwerdens ist dieser Einladungsreigen für alle am Haus wirklich so – (atmet sehr tief und erleichtert aus): Ich weiß nicht, wie ich das in Worte fassen soll. Jetzt hoffe ich, dass es uns gelingt, in den versprochenen Dialog mit dem Publikum einzutreten.

Sie haben den Krieg in der Ukraine angesprochen. Wie kann man als Stadttheater darauf reagieren?

Für uns ist das sehr nahe, weil wir das Projekt „Sisterhood Kyiv – Entfernte Nachbar*innen“ initiiert haben: ein langfristiger Austausch mit Häusern und Kunstfestivals aus anderen Kulturkreisen: Vilnius, Warschau, Damaskus, aber auch Kiew. Im Dezember gab es ein erstes Treffen – ein großer Teil der ukrainischen Künstlerinnen und Künstler ist jetzt hier bei uns. Zugleich versuchen wir, mit jenen zusammenzuarbeiten, die noch in der Ukraine sind. Wir versuchen, konkret im Alltag zu helfen – aber wir wollen auch diese Stimmen aus der Ukraine hör- und sichtbar machen.

Sie werden sparen müssen, erhöhen in der nächsten Spielzeit auch die Preise: Fühlen Sie sich von der Stadt alleingelassen?

Eigentlich nicht, aber trotzdem treibt mich die Frage um, ob die Stadt wirklich weiß, was sie an diesem Theater hat. In der ersten Sparrunde hieß es ja, dass es eine Ausnahme bleiben soll. Dann kam der Krieg in der Ukraine. Wir werden sehen. Sicher, es ist ein großzügig ausgestattetes Haus, aber es leistet auch Außergewöhnliches. Die Kammerspiele sind ein Schatz, den es zu pflegen lohnt.

Das Gespräch führte Michael Schleicher.

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