Tanz an die Spitze

von Redaktion

Kunstminister Markus Blume gibt am Donnerstag bekannt, wer neuer Ballettdirektor wird

VON MALVE GRADINGER

Ach, wenn’s so leicht wäre wie bei „Germany’s next Topmodel“! Pro Sieben kann eben mit einer riesigen Kandidatinnen-Auswahl punkten. Aber wie sieht es jetzt aus mit einem „Top-Direktor“ fürs Bayerische Staatsballett? Igor Zelensky, 2016/17 in dieser Position in München angetreten, hat sich selbst Anfang April daraus verabschiedet. Ob nur, wie von ihm formuliert, aufgrund „privater Familienangelegenheiten“ oder auch wegen beruflicher Kontakte mit Russlands Präsident Wladimir Putin, bleibt offen (wir berichteten).

Nach Informationen unserer Zeitung will Bayerns Kunstminister Markus Blume am Donnerstag den Nachfolger oder die Nachfolgerin vorstellen. Einfach ist die Wahl nicht. Welche Art von Ballettchef oder Ballettchefin hat der CSU-Politiker im Sinn: eine künstlerisch tanz-schöpfende Persönlichkeit oder, salopp gesagt, eine für kompetentes Management? Beide Qualitäten in einer Person vereint – das ist die Rarität schlechthin.

Blicken wir zurück: Von 1980 an bis jetzt gab es – ausgenommen Ronald Hynd Mitte der Achtziger – in München lediglich Ballettchefs, die nicht selbst choreografierten. Edmund Gleede, Stefan Erler als Interimsleiter, Staatsballettgründerin Konstanze Vernon, Ivan Liška und zuletzt Zelensky. Zugegeben, vor 1980 gab es Ballettdirektoren, die auch choreografierten: unter anderen Victor Gsovsky, Alan Carter, Heinz Rosen, John Cranko, Dieter Gackstetter, Lynn Seymour. Aber die Sparte Ballett war bis zu Vernons Antritt nicht eigenständig, also immer auch Zuarbeiterin der Oper. Schon von daher war der technisch-künstlerische wie der verwalterische Anspruch an die Leitung nicht vergleichbar mit heute.

Wer käme für München infrage, einmal ausgeführt am Beispiel der Gäste aus den vergangenen Jahre? Der Russe Alexei Ratmansky, Haus-Choreograf des American Ballet Theatre, Gast beim New York City Ballet, obendrein mit Leitungserfahrung am Moskauer Bolschoi Ballett? Wie man hört, soll er bereits einmal ein entsprechendes Angebot abgelehnt haben, was 2016 zur Verpflichtung von Zelensky führte. Könnte es sich Ratmansky jetzt doch überlegen? Mit ihm bekäme das Staatsballett einen Choreografen, der – passend für München – das Handlungsballett pflegt, obendrein unter dem historischen Aspekt.

„Storyballets“ sind auch die Stärke des Briten Christopher Wheeldon. Von ihm sind „Alice im Wunderland“ und „Cinderella“ im Münchner Repertoire. Allerdings ist Wheeldon stellvertretender Leiter des Londoner Royal Ballet, also recht beansprucht, wie auch durch seine weltweiten Gast-Aufträge.

David Dawson aus der Londoner Talentriege ist ebenfalls rund um den Globus gefragt. Mit seiner ersten Arbeit in München, der Kreation „Affairs of the Heart“ im „Passagen“-Dreiteiler zur Festwocheneröffnung Ende März, hat er die Herzen der hiesigen Tanzfans gewonnen (wir berichteten). Dawson ist ein Bildhauer, der Bewegung in die Musik hinein modelliert. Im Fach Handlungsballett war er bisher eher sparsam aktiv. Ob er sich an ein Ensemble wie das Staatsballett binden möchte?

Gleiche Frage bei Marco Goecke, ebenfalls bei den „Passagen“ gefeiert für sein „Sweet Bones’ Melody“. Er ist der Surrealist unter den aktuell gefragten Tanzschöpfern. Trifft einen mit seinen düsteren, bizarren Tanzgemälden direkt in die Magengrube. Seine Art, den Tanz neu zu sehen, wäre für München eine Herausforderung. Würde München ihn wagen? Und umgekehrt? Vor allem, da er 2019/20 seine erste Ballettdirektion am Staatstheater Hannover antrat.

Für München geeignet wäre auch Manuel Legris, der jedoch gerade von Wien an die Mailänder Scala gewechselt ist. Laurent Hilaire wäre ebenfalls ein Kandidat. Wie Legris ist er ehemaliger Erster Solist des Balletts der Pariser Oper und war zuletzt Tanzchef des Moskauer Stanislawski-Theaters. Beide haben in den Achtzigerjahren mit Forsythe während dessen Pariser Zeit gearbeitet, sind also durchaus der Post-Klassik zugeneigt. Man denkt zudem an Kevin Haigen, langjähriger Solist in John Neumeiers Hamburg Ballett. In den Achtzigern hat er hier den Joseph getanzt in Neumeiers „Josephs Legende“. Längst ist Haigen künstlerischer Leiter von Neumeiers Bundesjugendballett. Kandidaten gibt es also. Ob sie an München interessiert sind?

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