Jeder für sich allein

von Redaktion

PREMIERENKRITIK „Spiel des Lebens“ von Knut Hamsun im Residenztheater

VON SIMONE DATTENBERGER

Knut Hamsun (1859-1952) und seine Kareno-Trilogie, das klingt doch vielversprechend für einen Bühnenversuch: der norwegische Literaturnobelpreisträger, der sich für die Nazis begeisterte, und eine Dramenfigur, die faschistisches Gedankengut widerlichster Natur als Philosophie zelebriert. Regisseur Stephan Kimmig und Dramaturg Ewald Palmetshofer vom Bayerischen Staatsschauspiel haben sich also die drei Stücke „An des Reiches Pforten“ (1896), „Spiel des Lebens“ („1896) und „Abendröte“ (1898), die sich um Ivar Kareno drehen, erkoren. Nach zweijähriger Pandemiephase und nochmaliger Verschiebung von April auf Mai wegen einer Corona-Erkrankung im Ensemble hat es „Spiel des Lebens“ am Wochenende mit Voraufführung und Premiere endlich auf die Bühne des Münchner Residenztheaters geschafft.

Nun war Hamsun zwar ein großartiger Erzähler, aber ein unbeholfener Dramatiker. Deswegen schlingert die Trilogie hilflos zwischen Polit-Satire und Tragödie, nährt sich an Ibsen und Strindberg samt Goethe’scher Beilage („Faust“) und kann die Figurenentwicklung Karenos nicht überzeugend darstellen. Palmetshofer und Kimmig haben sich trotzdem nicht entmutigen lassen und die Trilogie zu einem einzigen Drama eingedampft (mit Pause drei Stunden). Katja Haß hat ihnen dafür ein kluges Bühnenbild entworfen, das von einem weißen T-Trägergerüst dominiert wird.

Im ersten Teil gibt es einen schmalen, schwarz-weiß-grauen Raum für den jungen Polit-Philosophen Kareno, seine Frau, seinen Freund und Konkurrenten, dessen Verlobter und den Journalisten. Entsprechend die heutige Kleidung (Kostüme: Anja Rabes). Wenn der Wissenschaftler gepfändet wird, reißen Bühnenarbeiter die Wandplatten weg, und die Bühne öffnet sich zur Gänze. Jetzt ist man mit dem zweiten Teil auf dem Land (helle Klamotten), wo Kareno zunächst glücklich als Hauslehrer und Metaphysiker lebt. Im dritten Teil engt sich alles ein zu einer Horror-plüschigen Behausung (Anzug, schickes Outfit, Pseudo-Tracht). Kareno, nun 59, wird sich bürgerlich und als politischer Quereinsteiger etablieren.

So funktional diese Umgebung für die Schauspiel-Truppe ist, so disfunktional war wohl der Corona-zermürbte Entstehungsprozess. Die Schauspielerinnen und ihre Kollegen spielen meist alles für sich allein, als wäre jede und jeder in einem eigenen Stück-Kosmos. Max Mayer (Kareno) flüchtet sich mit dem Bewegungsvokabular der Monty-Python-Mannen ins Klischee des spinösen Wissenschaftlers. Die Gefährlichkeit und Herzlosigkeit seiner Gedankenwelt wird durch die Inszenierung genauso wenig deutlich wie bei Hamsun. Damit hat das Resi-Projekt „Spiel des Lebens“ keine politische Brisanz. Immerhin laufen der erste und dritte Teil der Aufführung als Lustspiel über Karriere- und Ehezoff flott unterhaltsam. Die Dialoge sitzen, das Timing stimmt, die Frauen (Lisa Stiegler und Hanna Scheibe: präsent und wach) sind emanzipiert und sorgen für Realitätssinn.

Lukas Rüppel gibt seinem Jerven (einst Karenos Freund) bemerkenswerte ernste und komische Facetten, Robert Dölle als Journalist und Frauenfreund einen samtstimmigen Verführer und der alte Arnulf Schumacher sicher auf den Punkt den taktierenden Minister.

Da wäre es das Beste gewesen, den Mittelteil zu streichen. „Spiel des Lebens“ ist so überfrachtet und sozusagen im 20. Monat bedeutungsschwanger, dass man es, wenn überhaupt, nur als schrille Symbolismus-Parodie inszenieren könnte. Es gibt Quasi-Allegorien der Todsünden Geiz und Hoffart sowie die Verkörperung der Tugend Gerechtigkeit, dann das Faustische, die Femme fatale, natürlich toben Seuche, Sturm, Feuer, Mordlust. Christian Erdt, Patrick Bimazubute und Delschad Numan Khorschid kämpfen tapfer darum, ihren Nebenfiguren Profil zu verleihen. Oliver Stokowski bleibt als der Geiz in der Stereotype eines obsessiven Irren stecken, während Liliane Amuat als seine Männer verschleißende Tochter den Sadismus ausspielt – allerdings prickelt da die Erotik wie stilles Mineralwasser.

Weitere Vorstellungen

am 5., 16. Juni; Karten unter Telefon 089/21 85 19 40.

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