Wenn Willy Brandt geahnt hätte, was für ein begabter Steppke da in der Berliner SPD-Zentrale auf seinem Schoß herumklettert – dann hätte der Regierende Bürgermeister womöglich ein Erinnerungsfoto anfertigen lassen. Hat er aber nicht. Und so bleibt bis heute ungeklärt, ob der kleine Roland Kaiser, der damals noch Ronald Keiler hieß, tatsächlich „Hoppe hoppe Reiter“ bei Willy Brandt machen durfte. Seine Pflegemutter Ella, die im Kurt-Schumacher-Haus putzte, erzählte die Geschichte gern. „Ich habe keine Erinnerung daran. Wenn es stimmt, ist es eine hübsche Anekdote zu meiner politischen Sozialisation“, verrät der große Roland Kaiser, der nicht nur zu Deutschlands erfolgreichstem Schlagerstar wurde, sondern auch zu einem engagierten Demokraten und Sozialdemokraten. Heute feiert der Junge aus dem Arbeiterbezirk Wedding seinen 70. Geburtstag.
Die Willy-Brandt-Geschichte passt in ein turbulentes westdeutsches Nachkriegsleben, wie es reicher an Anekdoten kaum sein könnte. Seine leibliche Mutter setzte ihn nach der Geburt aus, wie er in seinen 2021 erschienenen Erinnerungen „Sonnenseite“ erzählt: „Sie war siebzehn Jahre alt und wusste mit einem Kind, einem unehelichen noch dazu, nichts anzufangen.“ Pflegemutter Ella Oertel nahm ihn zu Hause auf, Hinterhaus, Toilette auf halber Treppe, ärmliche Verhältnisse. Aber: „Ich hatte meinen Kiez, ich hatte meine Mutter. Meine Welt war in Ordnung.“ Dann war sie nicht mehr in Ordnung, als die Pflegemutter 1967 beim Gardinenaufhängen an einem Schlaganfall starb.
Aber Ronny schlug sich durch, lernte Kaufmann im Ford-Autohaus Butenuth. Und er stieg dort, weil er schlau und fleißig war, zum Werbeleiter auf. Seine knackigen Texte wie „Lieb mich ein letztes Mal“, „Manchmal möchte ich schon mit Dir“ oder „Ich glaub, es geht schon wieder los“, deren Titel klingen wie Werbeslogans – hier lernte er sein Handwerk. Auf Vermittlung eines Kunden sang er Ende 1973 sein erstes Lied im Tonstudio, „In the Ghetto“ von Elvis – ohne den Job ernst zu nehmen: „Jut, dachte ich, mach ick mal’n bisschen Trallala.“ Und weil Autoverkäufer Keiler auch zum Singen Talent hatte, beschloss Produzent Thomas Meisel: „Du brauchst einen Namen. Ein Keiler ist ein Wildschwein.“
So wurde der Keiler zum Kaiser geadelt und kletterte auf den Schlagerthron. Ab 1976 insgesamt 67 Auftritte in der ZDF-Hitparade – Platz 1 in dieser Statistik. 1980 der erste Superhit mit „Santa Maria“, dessen schwülstigen Deflorations-Text („Vom Mädchen bis zur Frau“) er mit Co-Autor Norbert Hammerschmidt aus Jux und Dollerei schrieb. Wobei: Schweinigeln lässt es der Kaiser in seinen Texten bis heute gerne. Eine Journalistin kürte ihn zum „Soft-Pornografen des deutschen Schlagers“.
Ab 2000 hatte er den schwersten Kampf seines Lebens zu bestehen, mit der Lungenkrankheit COPD. Obwohl die Symptome mit bläulicher Haut und violetten Lippen nicht zu übersehen waren, obwohl er 16 Stunden täglich am Sauerstoffgerät hing, verschwieg Kaiser die Diagnose acht Jahre lang: „Heute denke ich, ich fürchtete, die Menschen würden sich von mir abwenden. Ein Sänger, der keine Luft bekam? Ein todkranker Entertainer? Sie wären enttäuscht von mir. Und ich wollte niemanden enttäuschen.“
Im Jahr 2010 dann die Lungentransplantation, das Comeback – und mehr Erfolg denn je. Alljährlich 50 000 Fans bei der Dresdner Sommersause „Kaisermania“. 141 Millionen Youtube-Aufrufe für das Maite-Kelly-Duett „Warum hast Du nicht Nein gesagt?“ Und bundesweit ausverkaufte Konzerte, bei denen er mit zwölf grandiosen Musikern eine Show auf höchstem internationalen Niveau abliefert. Heute hat Roland Kaiser allen Grund zu feiern, mit seiner dritten Frau Silvia (57), mit den Kindern Annalena (23) und Jan (26).
Die kaiserliche Karriere hat er geschafft, ohne sich zu verbiegen. Als „seine“ Dresdner ab 2014 mit der Pegida durch die Stadt marschierten, hätte sich Roland Kaiser wegducken können, wie so viele. Doch der ewige Sozi bezog Stellung, kritisierte die Demonstrationen – ohne Angst, einige seiner treuesten Fans zu verprellen. Willy Brandt wäre stolz auf den Steppke aus dem Kurt-Schumacher-Haus.