„Knie kaputt, Frisur scheiße, die besten Jahre sind vorbei!“ International Music legen im zweiten Song des Abends gleich mal den Finger in die Wunde – die Mittvierziger, die gut die Hälfte des Publikums im Münchner Backstage stellen, dürfen sich angesprochen fühlen. Die jungen Hübschen, die vor der Bühne rumhüpfen, tangiert das wenig. Für sie ist es nur ein weiterer cooler Slogan von der Band, die so mühelos coole Slogans ausspuckt.
Nicht nur deswegen ist das Trio aus Essen die aufregendste deutsche Rockband derzeit. Ihr Umgang mit Sprache – assoziativ büxen da die Gedanken aus, so weit sie der Bewusstseinsstrom trägt – ähnelt bisweilen dem Dada von Helge Schneider. Den Titel ihres aktuellen Albums „Ententraum“ haben sie sich von Karl Valentin geborgt, dem einst träumte, sein menschliches Dasein habe sich zu dem einer Ente gewandelt. Da muss nichts Sinn ergeben, und doch fühlt es sich manchmal an wie die reinste Erkenntnis. Oft im selben Song. Wie im Hit „Farbiges Licht“, der mit der Schmunzel-Sentenz „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich abends Rosen gieße“ beginnt und im Refrain das Leben feiert: „Endlich wieder farbiges Licht, endlich wieder freie Sicht auf mich. Endlich wieder frische Luft um mich herum.“
Die Musik ist ähnlich schwer zu fassen. Peter Rubel (Gitarre) und Pedro Goncalves Crescenti (Bass und launige Ansagen) beginnen „Misery“ in der Facon eines peitschenden New-Wave-Rockers, doch die Harmonie des Refrains strahlt wie einst bei den Everly Brothers. Bei „Fürst von Metternich“ schmettert sogar „der Ludwig am Mischpult“ in ein Mikro, um den Chor zu verstärken. Bisweilen ändern sie die Stile so schleichend, dass man erst glaubt, einem Achtziger-Gitarrenpopstück zu lauschen und sich irgendwann wundert, dass sich das längst nach Progrock anhört.
Als sie das Publikum mit den Knallern „Metallmädchen“ und „Du Hund!“ nach Hause schicken, sind Knie und Frisur längst vergessen. Die besten Jahre sind genau jetzt. JOHANNES LÖHR