Choreografen aus den nördlichen Gefilden Europas haben schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts den modernen Tanz beflügelt. Die Schwedin Birgit Cullberg (1908-1999) und danach ihr Sohn Mats Ek, Jahrgang 1945, waren auch hierzulande eine große Inspiration. Jetzt choreografiert fürs Gärtnerplatz-Ensemble erstmals eine Norwegerin: Ina Christel Johannessen hat sich – mit der Erfahrung einer eigenen freien Compagnie und bereits 70 Werken für andere Ensembles – Shakespeares Alterswerk „The Tempest“ (1611) vorgenommen. Und zwar einigermaßen überraschend als Weckruf für einen sorgsamen Umgang mit der Natur.
Tatsächlich bietet sich dafür Shakespeares lehrhaft-ernste Komödie an: Magier Prospero, vormals Herzog von Mailand, lässt durch Luftgeist Ariel Neapels König Alonso auf seiner Insel stranden – im königlichen Gefolge auch Prosperos Bruder Antonio, der ihn aus seinem Herzogtum vertrieben hatte. Aber Vergeltung ist schon bei Shakespeare nicht das Thema, sondern grundlegende Kräfte menschlicher Existenz: Natur und Kunst. Hier die ungesteuerte Kraft des Lebens, die sich auch als triebhafter Machtwille äußert; da Erziehung, Erkenntnis und kluge Gestaltung. Dieses positive menschliche Vermögen scheint Johannessens Ansporn. Sie will unserer konsumorientierten, selbstzerstörerischen Gesellschaft einen Spiegel vorhalten und „mit den Mitteln der Kunst einen Weg finden, die Natur zu retten“.
Bereits als Studentin in Oslo erkannte sie ihren Weg. „Ich wollte nie nur tanzen, sondern auch zeigen, warum man tanzt. Und man kann eine Geschichte ja auf ganz verschiedene Arten erzählen.“ Diese Einstellung gibt ihr die Chance, auch ältere Stücke neu zu denken. Schon in vorausgegangenen Werken waren Klimaveränderung und Umweltbedrohung das zentrale Thema. In ihrem Stück „Frozen Songs“ (im Zentrum der internationale Saatgut-Tresor „Svalbard Global Seed Vault“ auf Spitzbergen) thematisiert sie den Klimawandel, verweist auch gleich auf ihre dortige Recherche: „Ich habe diesen Saatgut-Tresor tief unter der Erde besucht, habe die Behälter mit eingefrorenen Samen gesehen, auch mit Wissenschaftlern gesprochen über die Erderwärmung und die durch Abfälle verseuchten Gewässer.“
Johannessen sieht es als ihre künstlerische Pflicht, auf das schmelzende Polareis und den ansteigenden Meeresspiegel hinzuweisen, auf Waldbrände und Wassermangel. Ihr „Sturm“ beginne in einer ausgetrockneten Landschaft. Umweltbewusst verwendet sie möglichst keine neu angefertigten, sondern angekaufte Kostüme und Plastikeimer aus wiederaufbereitetem Material. Ganz wichtig ist ihr die demokratische Einbeziehung der Tänzer in den Entstehungsprozess.
Dass bei ihr auch die Musiker ins Geschehen integriert sind, scheint irgendwie konsequent. Der Orchestergraben fällt also weg. Die Palette reicht von Händel, Chopin, Schnittke bis zu Luc Ferrari und Sofia Gubaidulina. Ferrari (1929-2005), ein französischer Komponist und Hörspielmacher, gilt als Vertreter der „musique concrète“ und wurde vor allem für seine Experimente mit Tonbandmusik bekannt. Seine Aufnahmen mit einem 360-Grad-Mikrofon, werden verschiedene Soundeffekte liefern, von sanften Alltagsgeräuschen bis zum chaotischen Sturm-Brausen.
Zum Schluss noch an die freischaffende Johannessen die Frage, warum die Ballettdirektion vorrangig eine Domäne des Mannes ist. „Es stimmt, die Männer sind immer noch in der Überzahl“, äußert sie etwas zögerlich. „Aber ich habe auch schon für einige Ballettchefinnen gearbeitet. Es hat sich in den letzten Jahren doch langsam etwas geändert. Mehr kann ich nicht dazu sagen.“
Premiere
am 25. Mai; Karten unter Telefon 089/21 85 19 60.