Dunkle Wolken, aufgepeitschtes Meer, gestrandete Menschen – so die Situation im Tanzstück „Der Sturm“ von Ina Christel Johannessen, erstmals Gast-Choreografin am Münchner Gärtnerplatztheater. Anstoß mag wohl Shakespeares gleichnamige, durchaus auch Natur-bewusste Komödie „The Tempest“ (1611) gewesen sein. Allerdings nicht in Johannessens gewollt Umwelt-aktivem Sinn: Wie die Norwegerin in einem Vorgespräch äußerte, sieht sie ihr Schaffen als künstlerisches Bestreben, die Natur zu retten. Kann Kunst dies? Der Jubel am Ende ist darauf nicht unbedingt eine Antwort.
Shakespeares Insel-Magier Prospero setzt die königliche Familie und deren Gefolge aus Neapel den Winden seines Luftgeistes Ariel aus – als rein erzieherische, letztlich versöhnliche Lektion. Bei Johannessen jedoch ist eine nicht näher erklärte Gesellschaft auf einem von heiß-roter Sonne ausgetrockneten Ödland gestrandet. In Kartons schleppen sie gerettete Habseligkeiten herbei, was unmittelbar die allzu bekannten Fernsehbilder von Naturkatastrophen wachruft. Den Schiffbrüchigen hier bietet ein hoher schlichter Pfahlbau Schutz. Dank Drehbühne wandert das luftige Gehäuse im Raum, lässt so den 20 Tänzern und den überraschend gut in die Inszenierung integrierten Musikern immer wieder eine andere Aktionsfläche. Das erwirkt eine geradezu untheatrale, eine kreative Leichtigkeit. Und die live gespielten Musiken von Chopin bis Gubaidulina, Luc Ferraris Tonbandaufnahmen mit Alltagsgeräuschen, die beiden Trommler auf dem Pfahlbau-Dach und der Akkordeon-Champion am Bühnenrand – all das erfüllt den Raum durchgehend mit Klang und Rhythmus, mit Aufreizung und Beruhigung.
Im Wesentlichen, das heißt in der Choreografie, schwächelt der Abend. Schon das Vorspiel auf dem überdeckten Orchestergraben ist zu lang, im turnerisch-gelenkigen Vokabular zu beliebig. Ina Christel Johannessen schließt grundsätzlich die Tänzer mit in den Entstehungsprozess ein. Und das Gärtnerplatz-Ensemble kann, wie man weiß, alles zwischen Bodenfiguren und quasi Gelenk-auflösender Akrobatik. Und so wirbeln sie denn unentwegt über die Bühne: in Zweier-Formationen, in aufgeregtem Massen-Durcheinander, im erschöpft wankenden Pulk, in kantigen sich selbst aushöhlenden Soli. Nur schwer lassen sich da Figuren in der Nähe von Shakespeares „Sturm“ ausmachen.
Davide Valencia, der einmal einen bunten seidenen Mantel anlegt, könnte für ein paar Minuten Prospero sein. Ein schmerzlich anmutendes Solo möchte man Prosperos Tochter Miranda zuordnen. Letztlich jedoch sind alle Figuren nur Ausdruck einer Hilflosigkeit, einer Verzweiflung, eines Aufbegehrens. Insgesamt verbleibt die choreografische Bewegung in vagen Andeutungen, in zerbrochenen Formen und Linien. Das darf ja sein, ob in der Nähe von Impressionismus oder Expressionismus. Aber sie muss uns anfassen, muss uns unter die Haut gehen. Hier ist es schlicht gesagt ein Zuviel an Herumlaufen, an Körper-Elastizität, ein Zuviel auch an Wiederholung.
Natürlich lässt sich diese Art der Choreografie als eine künstlerische Entwicklung erklären, als ein Zerfließen von Form, als Übergang zu einer neuen Tradition. Vielleicht hatte die Choreografin auch nicht genug Zeit, sich in ein ihr völlig unbekanntes Ensemble einzufühlen und nicht genug Muße für ein ja nicht leichtes Thema.
Weitere Vorstellungen
28. Mai, 1., 12., 25. Juni, 12., 15. Juli; Karten: 089/2185 1960.