Adrenalin gehört zu einem Premierenabend dazu. Gerade, wenn es sich um ein solch emotionales Werk handelt wie Benjamin Brittens „Peter Grimes“. Trotzdem hätte das Staatstheater Augsburg wahrscheinlich gerne auf den zusätzlichen Kick verzichtet, den hier gleich mehrere Erkrankungen im Ensemble verursachten.
Nachdem Haus-Tenor Jacques le Roux bereits während der Endproben von Richard Furman abgelöst wurde, musste nämlich auch der Ersatzmann wenige Stunden vor der Premiere aus gesundheitlichen Gründen die Notbremse ziehen. Umso tiefer muss man da den Hut vor Peter Marsh ziehen, der den lediglich szenisch agierenden Titelhelden als Retter in der Not vokal und souverän aus dem Graben doubelte.
Marsh stand dabei weniger in der Tradition der schweren Heldentenöre, die sich die Rolle in jüngerer Vergangenheit öfters zu eigen gemacht haben, sondern näherte sich der komplexen Partie eher aus dem Geist von Uraufführungs-Interpret Peter Pears. Dies mit lupenreiner Artikulation und einem lyrischen Fundament, das dem innerlich zerrissenen Außenseiter unter der ruppigen Fassade ebenso verletzliche Züge verlieh. Marshs nuancierte Interpretation fügte sich hier bestens zum intensiven Spiel seines Kollegen auf der Bühne.
Denn auch Regisseur Dirk Schmeding arbeitet in seiner Inszenierung diese Zerrissenheit deutlich heraus. Da wird Grimes von Visionen seines toten Lehrjungen verfolgt, von Stimmen aus dem Off gemartert und verstrickt sich in Gespräche mit imaginären Personen. Ausstatterin Martina Segna hat für dieses Seelendrama einen knöchelhoch gefluteten Einheitsraum entworfen, eingerahmt von schroffen Felsklippen, welche die beklemmende Enge des Dorfes samt seiner engstirnigen Bewohner noch weiter unterstreichen.
Dass Schmeding Grimes zum Finale allerdings nicht in den einsamen Tod schickt, sondern durch die Zuschauerreihen einem weißen Licht entgegen abtreten lässt, schraubt den Kitschfaktor dann doch bis über die Schmerzgrenze und will nicht so recht zum Rest des Abends passen, der meist ziemlich handfestes Theater bietet und das Ensemble durch zahlreiche skurrile Episoden jagt. Wobei vor allem Christianne Bélanger als urkomische Mrs. Sedley im Maggie-Thatcher-Look heraussticht. Sie hinterlässt mit sicher geführtem Mezzo ähnlich starken Eindruck wie Olena Sloia und Jacoba Barber-Rozema, die als „Nichten“ aus dem horizontalen Gewerbe die Klischees, die ihnen die Regie abverlangt, genüsslich auskosten.
Sally du Randt war als Lichtgestalt Ellen Orford bereits bei der vorangegangenen Augsburger Premiere 2006 mit dabei und spielt ihre Rollenerfahrung gewinnbringend aus. Dass sie in der Mittellage inzwischen ein wenig basteln muss, fällt dabei kaum ins Gewicht. Es gelingt ihr immer noch, mit runder Höhe die Ensembles zu dominieren und auch im intensiven Zusammenspiel mit Furman nachhaltige Akzente zu setzen. Sehr präsent ebenfalls Wiard Witholt, dessen geschmeidiger Bariton für den resoluten Captain Balstrode fast schon zu nobel klingt und damit eher dem wunderbar schmierigen Ned Keene von Modestas Sedlevičius Konkurrenz macht.
Trotz starker Besetzung bleiben dennoch die Augsburger Philharmoniker der eigentliche Dreh- und Angelpunkt der Aufführung. Generalmusikdirektor Domonkos Héja zaubert im Graben nicht nur bei den soghaften Zwischenspielen, sondern weiß das dramatische Potenzial der Partitur ebenso in vielen kleinen Charaktermomenten auszureizen, die Britten den Dorfbewohnern gönnt. Da wird einerseits unglaublich filigran musiziert, gleichzeitig darf es in der Sturmszene in Aunties Pub aber auch mal ordentlich knallen. Und dass die Balance selbst dann gewahrt bleibt, wenn sich der machtvoll auftrumpfende Chor ins Geschehen mischt, will in der keineswegs unproblematischen Akustik des Ausweichquartiers Martini-Park einiges heißen.
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