Der Streitbare

von Redaktion

NACHRUF Der Schriftsteller Friedrich Christian Delius ist im Alter von 79 Jahren gestorben

VON MARIO SCALA UND CHRISTINA DENZ

Er hat sich stets als „antidogmatisch links“ gesehen – Friedrich Christian Delius, der gestern im Alter von 79 Jahren in Berlin gestorben ist, war ein streitbarer Literat. „Mit politisch hellwachen, ideologieresistenten Texten“ erforschte er die Geschichte der deutschen Bewusstseinslage im 20. Jahrhundert, hieß es in der Begründung zum Georg-Büchner-Preis, den er 2011 erhielt.

Geboren wurde Delius 1943 in Rom als Sohn eines westfälischen Pfarrers. Sein Vater war von den Nazis als Hilfsprediger an die afrikanische Front geschickt worden. Noch vor Kriegsende kehrte die Familie nach Deutschland zurück und zog ins hessische Wehrda. Mit 19 Jahren veröffentlichte der Student der Literaturwissenschaft seinen ersten Gedichtband. Anfang der Sechziger rumorte es bereits in der jungen Republik, und die Kinder der Nachkriegszeit machten sich bereit für den Protest. Von politischer Vereinnahmung allerdings hielt Delius nie etwas. Dennoch hatte die Linke in der Bundesrepublik zumindest einen distanzierten Verbündeten in ihm. Als Lektor bei den Verlagen Wagenbach und Rotbuch verstand er die Arbeit mit Büchern als Aufklärung und politische Praxis. Viel DDR-Literatur schmuggelte er in den Westen, „aber immer nur wenige Seiten“, erinnerte er sich später einmal, darunter die „Hamletmaschine“ von Heiner Müller – „die ja so dünn ist, dass sie unauffällig unter das Unterhemd passte, im Gürtel eingeklemmt. Wenn man sich gerade hält, ist das kein Problem.“

Als Kämpfer gegen Zeitgeist und Autoritäten schlug sich der Autor auch mit der Justiz herum. Eine Satire über die Firma Siemens und das Gedicht „Moritat auf Helmut Hortens Angst und Ende“ über die bekannte Kaufhauskette gingen nach Klagen ihren Weg durch die Instanzen. Im Jahr 1982 entschied der Bundesgerichtshof, dass der Schriftsteller weiter behaupten dürfe, dass die von Kaufhauschef Horten „bezahlten Politiker über Gesetzen schwitzen, die ihm genehm sind und seine Gegner zerfetzen“.

F. C. Delius war immer ein formbewusster, reflektierter Autor, der sich mit Vorliebe auf die großen Themen der Zeit stürzte. In „Mogadischu Fensterplatz“ (1987) und „Himmelfahrt eines Staatsfeindes“ (1992) verarbeitete er die Entführung der „Landshut“ sowie die spätere Beerdigung von RAF-Mitgliedern. In „Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus“ erinnerte er an die Erfahrung der deutschen Teilung, in „Die Birnen von Ribbeck“ an die deutsche Wiedervereinigung. Mit der Politik hat Delius indes nie seinen Frieden gemacht: „Seit die bürgerlichen Werte an den Finanzplätzen verschleudert werden, der Liberalismus zum Lobbyismus und zur Marktblödheit verkommt, scheinen die Demokratien in feudalistische Zeiten zurückzutaumeln“, befand er.

Doch trotz seiner satirischen Schärfe bescheinigte ihm die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung eine „menschenfreundliche Sensibilität“. Und Rowohlt-Berlin-Verleger Gunnar Schmidt bezeichnete ihn als „feinnervigen Porträtisten“, der sich „hochsensibel in seine Figuren einfühlt und zugleich souverän das Leben aufschlüsselt, in das diese hineingestellt sind“. Delius sei ein Autor mit „Neugier auf die Welt, mit Fantasie, Intuition und Menschenkenntnis“ gewesen: „Seine Stimme wird fehlen.“

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