Als Black Sabbath im Februar des Jahres 1970 ihr Debütalbum veröffentlichten, das den Namen der britischen Band trägt, war das die Geburtsstunde des Heavy Metal. Der Titelsong schleicht sich schwerfällig an, ein dräuendes Warten in g-Moll, ein vermaledeites Verzögern und Verschleppen – bis Gitarrist Tony Iommi und Bassist Geezer Butler nach ein paar Minuten einen musikalischen Irrsinn lostreten, ein Wogen und Wüten. Derweil singt Ozzy Osbourne von einer – Pardon! – armen Sau, die erkennen muss, dass Weglaufen nichts, aber auch gar nichts bringen wird. Denn der Teufel höchstselbst hat’s auf den Protagonisten abgesehen.
Schlimmer noch: „Satan’s sitting there, he’s smiling.“ Der Gottseibeiuns, der da sitzt und lächelt – dieses Motiv führt tatsächlich mitten hinein in „Liebe ist gewaltig“. Doch nicht nur inhaltlich, auch stilistisch ist Claudia Schumachers bemerkenswerter Debütroman eine literarische Entsprechung des Lieds „Black Sabbath“.
Die Autorin, 1986 in Tübingen geboren, erzählt von Julia, genannt Juli, einer jungen Frau, die in einer nach außen hin harmonischen Welt aufwächst. In drei Lebensabschnitten – 2007, 2014 und 2016 – begegnen die Leserinnen und Leser diesem Menschen, der auf der Sonnenseite des Daseins geboren wurde. Schwäbische Familie zum Vorzeigen und Beneiden, bestens situiert, Kleinstadtvilla im (fiktiven) Ederfingen, Vater und Mutter sind angesehene Mitglieder der Gesellschaft – Juli selbst ein Mathe- und Rechengenie.
Jedoch: „Ich kenne dich besser als du dich selbst, sagte Papa immer wieder, als ich klein war – und nahm mich mir weg“, lässt Schumacher ihre Protagonistin einmal feststellen. Das ist das große emotionale Problem, mit dem Juli und ihre Geschwister zu kämpfen haben. Der Vater indes okkupierte nicht nur die Seelen seiner Kinder, hinderte sie somit an ihrer Entfaltung: Der respektierte, bewunderte und allerorts ach so wohlgelittene Anwalt wird zuhause zum grausamen Prügelmonster. Zu einem Teufel, der sich extra die Straßenschuhe anzieht, wenn er Julis Bruder zusammenstaucht. „Satan’s sitting there, he’s smiling.“
Schumacher lässt die junge Frau vom Erwachsenwerden in dieser fürchterlichen Familie erzählen, von ihren Versuchen der Rebellion und Befreiung – auch von ihrem Wunsch nach Zugehörigkeit. Das sorgt für große Unmittelbarkeit bei der Lektüre, so als stünde man – um im Bild vom Beginn zu bleiben – beim Sabbath-Konzert direkt an der Box. Erst im letzten Teil ihres Buchs wechselt die Autorin die Erzählperspektive, blickt von außen auf Julis Leben. Ein starker Kniff, denn hier wird klar, dass räumliche Distanz nicht unbedingt Freiheit bedeutet, dass emotionale Abhängigkeit mitunter hartnäckiger, fieser ist – und dass es Zeit braucht, um ein Trauma wirklich aufzulösen.
Puh. Das klingt heftig. Das Überraschende an diesem Roman ist allerdings, dass er in etwa so weit entfernt von Betroffenheitsprosa ist wie Ozzy Osbourne von Hansi Hinterseer. Schumacher hat einen authentischen, ja, in seiner Lakonie auch witzigen und enorm unterhaltsamen Stil gefunden, um von den Verwundungen, dem Schmerz und der Scham ihrer Figur zu erzählen – und von deren Kampf um Emanzipation. Zudem glückt es der Autorin, komplexe Strukturen und verzwickte psychologische Abläufe in prägnante Sätze zu packen. „Schlimmer als Krieg ist nur die Normalität danach“ ist so ein Satz, den Juli nach einem Gewaltexzess des Vaters notiert. In der „Normalität“ nämlich hat sie Zeit, „Fragen zu stellen“. Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Zum Beispiel jene, wie die Mutter bei all dem mittun konnte? Nicht nur, dass sie weder sich noch ihre Kinder schützen konnte/wollte. Nein: „Mama, die Tatortreinigerin“ nennt Juli sie: „Sie stopfte uns den Mund mit Streuselkuchen und Sahne.“
Es ist spannend zu lesen, wie Schumacher ihre Juli aus der Betäubung mit Kalorien und Süßkram wegführt – räumlich, sprachlich, vor allem aber emotional. „Is it the End, my Friend?“, singt Osbourne in „Black Sabbath“. Ist es nicht. Es ist ein Anfang. In vielerlei Hinsicht.
Claudia Schumacher:
„Liebe ist gewaltig“. dtv, München, 376 Seiten; 22 Euro.
Juli wächst in einer schwäbischen Vorzeigefamilie auf
Schumacher erzählt mitreißend und herrlich lakonisch