Der Held aus Reinhard Kaiser-Mühleckers neuem Roman „Wilderer“ heißt Jakob Fischer und ist Landwirt in Oberösterreich. Sein Problem ist im wahrsten Sinne des Wortes bodenständig: Sein Vater hat mit der Zeit viele Wiesen und Äcker, die zum landwirtschaftlichen Betrieb gehörten, verkauft. Jakob sieht sich in der Rolle des Kleinbauers, der am existenziellen Abgrund steht. Stur und still schuftet er vor sich hin. Andererseits lebt dieser Jungbauer alles andere als weltabgewandt. Er schaut Youtube-Videos und flirtet auf Tinder mit jungen Frauen. Zu einem echten Date kommt es allerdings nie. Doch dann tritt Katja in sein Leben. Sie ist Kunstmalerin und hat ein Stipendium in ländlicher Umgebung angenommen. Langsam kommen sich der Bauer und die Malerin näher.
Reinhard Kaiser-Mühlecker hat unter anderem Landwirtschaft studiert, das merkt man seinem Roman an. Katja entwickelt sich zu einer Bäuerin mit smartem Profil. Gleichzeitig malt sie weiter, hat mit ihren Bildern Erfolg. Die Diskrepanz zwischen einer Studierten, einer Malerin und einem „einfachen Bauern“ bleibt bestehen. Jakobs in sich gekehrtes Wesen wiederum hat so manche Schattenseite. Er trägt Mitschuld am Tod eines Freundes. Und mit einem alten Revolver, der nur eine Kugel in der Trommel hat, spielt er Russisch Roulette. Nicht direkt der Tod, jedoch die Wildheit des Lebens, eines Lebens in der Natur macht ihn manchmal unberechenbar.
„Wilderer“ lautet der schlichte Titel von Kaiser-Mühleckers Roman. Und Wilderer ist sein Protagonist in dem Sinne, dass er das Wilde, Unberechenbare in sich spürt, es zurückzudrängen versucht, es aber nicht ganz schafft. Die Natur hat mit Wild-Sein zu tun, aber auch das Überleben als Landwirt benötigt einen harten Willen. Freilich hat „Wilderer“ etwas mit dem österreichischen Anti-Heimatroman der 1960er- und 1970er-Jahre zu tun. Nur geht es dem Autor nicht darum, beschränktes oder gar faschistoides Gedankengut in der Provinz freizulegen. Das Leben seines Landwirts ist eines von heute, mit all seinen Schwierigkeiten: „Die Zukunft war für alle so ungewiss, wie sie für die Vorfahren nie gewesen war; niemand gab es zu, doch die Zeit des ewigen Aufwärts war längst vorbei.“
Der allwissende Erzähler erzählt im ruhigen Tonfall, er blättert das Seelenleben der Protagonisten feinfühlig vor den Augen der Leserschaft auf. „Wilderer“ ist auch deswegen ein kluger Roman, weil in ihm weder angeklagt noch geklagt, sondern der Ist-Zustand des Lebens am Land beschrieben wird. Jakob fügt sich letztlich in sein Schicksal, beinahe gottergeben. – „Es gab kein Siegen, es gab kein Scheitern; es gab nur diese Straße.“
Reinhard Kaiser-Mühlecker:
„Wilderer“. S. Fischer, Frankfurt am Main, 350 Seiten; 24 Euro.
Lesung: Reinhard Kaiser-Mühlecker stellt sein Buch am 20. Juni, 20 Uhr, im Münchner Literaturhaus, Salvatorplatz 1, vor; Karten – auch für den Livestream – unter 01806/70 07 33 oder unter literaturhaus-muenchen. reservix.de.