Als Synästhesie bezeichnet man die Kopplung zweier normalerweise voneinander getrennter Sinneswahrnehmungen. Wer zu den rund vier Prozent der Menschen gehört, die dieses neurologische Phänomen betrifft, sieht etwa Farben, wenn er Töne hört.
Synesthetic4 heißt eine Band, die eine fulminante Mischung aus Jazz-Improvisation, zeitgenössischen Kompositionstechniken und experimentellem Hip-Hop spielt und diese äußerst farbige Musik am Freitag im Schwere Reiter in München vorstellt. Wir haben vorab mit Bandleader Vincent Pongracz – Komponist, Klarinettist und Rapper in Personalunion – gesprochen.
Nein, stellt der 37-jährige Wiener klar, er selbst sei kein Synästhetiker. Der Bandname rühre von seiner sehr intensiven Beschäftigung mit Olivier Messiaen (1908-1992) her, der Synästhetiker war und von dessen Kompositionen er sich habe beeinflussen lassen. 2017, ein Jahr nach Abschluss seines Musikstudiums am Konservatorium in Kopenhagen, gründete Pongracz zusammen mit Gitarrist Peter Rom die Synesthetic4. Die weiteren Bandmitglieder sind Manu Mayr (E-Bass) und Andreas Lettner (Schlagzeug). Da treffen neutönerische Melodien auf funkige, aber immer wieder vertrackt gebrochene Grooves. Wenn Pongracz nicht gerade an der Klarinette seiner improvisatorischen Fantasie freien Lauf lässt, verblüfft er immer wieder mit Rap-Einlagen in einer von ihm selbst erfundenen Fantasiesprache. Diese sei „ausgearbeitet bis zu dem Punkt, wo ich damit auch improvisieren kann. Es ist eine Mischung aus Wortneuschöpfungen und teilweise leicht abgeänderten Wörtern aus verschiedenen Sprachen, wobei aber immer der Klang im Vordergrund steht.“
Wer also von Neuer Musik beeinflussten Jazz hört, aber gleichzeitig eine Art neodadaistischen Rap wahrnimmt, erlebt kein synästhetisches Phänomen, sondern wird Ohrenzeuge, wie Pongracz die alte rhetorische Zappa-Frage, ob Humor in der Musik etwas zu suchen habe, so kreativ wie amüsant beantwortet.
Zu einigen ihrer Songs hat die Band auch ebenso eigenwillige wie lustige, präzise auf die Rhythmen der Musik hin choreografierte und geschnittene Videos gedreht, denen laut Pongracz eine sehr große Bedeutung zukommt: „Wir arbeiten an einem Gesamtkunstwerk aus Musik, den Performances und den Videos. Die Geschichten nehmen immer wieder Bezug aufeinander und werden sich in Zukunft zu einem großen Ganzen vereinen.“ Einblicke in die visuellen Synesthetic-Aspekte bietet die Seite www.synesthetic-music.com, wobei in den Videos die Sprache allerdings weitaus mehr im Vordergrund steht als bei den Konzerten oder der gerade erschienenen, rein instrumentalen CD „Ahwowha“.
Neben dem Quartett betreibt Pongracz das Synesthetic Octet, das die Kernformation um vier Bläser erweitert, sowie sein Soloprojekt Synesthetic IVO, für das er gerade an neuen Aufnahmen arbeitet, „wo ich mich viel mit der Stimme, Varianten sprachlichen Ausdrucks und Texten auseinandersetze“. Im Herbst werde zudem ein neues Octet-Album aufgenommen. Einstweilen aber geht es live um die ästhetischen Synergieeffekte im Quartett, das Pongracz selbst als „zeitgenössische Groove Music, die den Wunsch hat, neue Möglichkeiten aufzuzeigen“, bezeichnet.
Dass das Publikum diese Neuartigkeit nicht nur wahr-, sondern auch dankbar annimmt, weiß Pongracz von Hörern, die der Musik „ein sehr starkes Alleinstellungsmerkmal“ attestieren. Wer sich aufs Verblüffendste unterhalten oder aufs Unterhaltsamste verblüffen lassen will, sollte sich also am Freitag ins Schwere Reiter aufmachen.
München-Konzert:
Freitag, 20.30 Uhr, Dachauer Straße 114 a; Karten online unter www.schwerereiter.de.