Wo ein Wille ist und ein gutes künstlerisches Netzwerk besteht, da ist meist auch ein Weg. Obwohl es das Team auf Gut Immling wohl einiges an Nerven gekostet haben dürfte, als sich im Vorfeld der Premiere von Bellinis „Norma“ die Besetzung beinahe im 24-Stunden-Takt krankheitsbedingt verkleinerte. Und so geht das erste Kompliment an Evan-Alexis Christ, der buchstäblich in letzter Minute den Taktstock übernommen hat. Der Dirigent stand in Immling schon mehrfach am Pult und führte das Orchester mit einer guten Portion Adrenalin im Körper selbst unter diesen Extrembedingungen sicher durch den Abend. Christ erwies sich dabei vor allem als guter Begleiter, der seinen Sängerinnen und Sängern für Bellinis „unendliche Melodien“ viel Freiraum gab, gleichzeitig aber in dramatischen Momenten, wie dem säbelrasselnden „Guerra“-Chor das Tempo ordentlich anzog.
Wie bei jeder „Norma“ ruhen die Ohren aber natürlich auch hier zuerst auf der Titelheldin. Die muss sich an zahlreichen Vorgängerinnen messen lassen, deren Namen bei Elodie Hache ebenfalls durchs Unterbewusstsein zu geistern scheinen. Deshalb ist im berühmten „Casta Diva“ eine leichte Nervosität zu spüren und perlen die Koloraturen noch nicht immer so wie später in den großen Duetten.
Das mag aber auch daran liegen, dass ihr Regisseurin Seollyeon Konwitschny-Lee den Diven-Auftritt verweigert und alles dafür tut, um Normas Autorität zu untergraben und sie zum Opfer zu stilisieren. Was so weit führt, dass sie sich einmal sogar von ihrer Dienerin Clotilde ohrfeigen lassen muss. Dass die Druidenpriesterin einen nach Blut dürstenden Gallier-Stamm mit einem Fingerschnippen im Zaum hält und später ebenso dominant in die Schlacht schickt, ist da kaum zu spüren. Auch wenn man dankbar ist, dass hier nicht die in traditionellen Aufführungen gern bemühte Asterix-Optik heraufbeschworen wird und lediglich Normas Kinder kurz in den Comics blättern.
Beim Versuch, die Handlung zu aktualisieren, bleibt Konwitschny-Lee der tragischen Heldin einiges schuldig. Aus sich herausgehen kann Elodie Hache damit erst in der dramatischen Auseinandersetzung mit Pollione, bei dem Einspringer Sung Kyu Park eine kraftstrotzende Tenorstimme ins Feld führt, bei der man sich ab und zu aber ein paar gefühlvollere Zwischentöne wünschen würde. Mehr Belcanto-Qualitäten bringt da schon die ähnlich kurzfristig aus Finnland eingeflogene Niina Keitel mit. Wobei sie den Vorteil hatte, ihre Partie mit dunkel glühendem Mezzo entspannt vom Notenpult aus zu singen, während Normas Nebenbuhlerin Adalgisa oben auf der Bühne von der Regisseurin selbst mit rudernden Armen stumm gemimt wurde.
Am Ende Respekt zollender Jubel für die Titelheldin und die drei Einspringer, aber auch deutliche Buhrufe für die Regie.
Weitere Vorstellungen
am 10., 30. Juli sowie am 6. August;
Karten gibt es online unter www.immling.de/spielplan-2022.