Jutta Speidel ist sichtlich stolz. Wenn die Schauspielerin über ihre Kulturbühne Spagat spricht, die zum „Horizont“-Haus am Münchner Domagkpark gehört, glänzen ihre Augen. Gerade erst hat die Inszenierung „Kitzeleien“ mit Lucca Zürcher bei den Privattheatertagen den Monika-Bleibtreu-Preis in der Kategorie „Publikumspreis“ gewonnen.
Nun steht die nächste Produktion vor der Premiere: „Einsam gemeinsam oder die Willkür des Glücks“ kommt morgen heraus und behandelt das Kernthema von Speidels sozialem Schaffen: Es geht um Obdachlosigkeit, den Kampf ums Überleben – und um menschliche Würde. Theaterleiterin Stephanie Tschunko erklärt, was die Zuschauer erwartet: „Eine Collage von Szenen aus dem Leben auf der Straße. Drei Frauen und ein Mann haben sie mit ihren eigenen biografischen Geschichten gefüllt.“ Die Stückentwicklung sei ein hochsensibler Prozess gewesen: „Es sind ja reale Erlebnisse, die immer noch schmerzen.“ Darum spielen sich die Laien auch nicht selbst – „weil das unglaublich wehtun kann“.
Die Ursachen fürs Abrutschen von Frauen in die Obdachlosigkeit sind vielfältig, erläutert Speidel. „Das können psychische Erkrankungen sein, Drogenabhängigkeit oder einfach furchtbares Unglück. Vieles hat auch mit dem Frausein zu tun, mit der Prägung von Verhaltensmustern in der Kindheit, mit minderwertiger Behandlung.“ Etliche Frauen würden sich in der Not in die Hände vermeintlich wohlmeinender Männer begeben, „die eigentlich der Horror sind, die misshandeln – physisch, psychisch und auch sexuell“. Die Flucht auf die Straße scheint nicht selten der einzige Ausweg. „Die Scham sitzt dann oft noch tiefer.“
Jutta Speidel hat gerade das 25-jährige Bestehen ihres Vereins „Horizont“ gefeiert, der obdachlosen, traumatisierten Müttern und ihren Kindern Hilfe bietet – und eine Perspektive für den Neuanfang: Zunächst mit ihrem Schutzhaus. Dazu kam 2018 das Wohngebäude am Domagkpark. Ein drittes Haus ist in Planung – „wieder ein Schutzhaus, und hier soll zusätzlich ein Traumatherapiezentrum entstehen“.
Doch zurück zur Bühne, die 2018 quasi als Auflage der Stadt für den Bau des „Horizont“-Hauses am Bauhausplatz entstanden ist: „Die Stadtväter hätten gern einen Gemeindesaal gehabt, damit der Platz belebt wird“, erinnert sich Speidel. Menschen, die hier wohnen, sollten sich zum Austausch eingeladen fühlen. „Daraus entstand die Idee zu einem Restaurant und zur Kulturbühne.“ Letztere bietet nun nicht nur Theater: Hier wird gefeiert, musiziert, getanzt, sich ausgetauscht, es werden Geschichten entwickelt und aufgeführt, in den Werkstätten kann geschneidert, gedrechselt, gehämmert werden. Tschunko, die auch Musiktherapeutin ist, sagt: „Unser Schwerpunkt liegt auf kultureller Teilhabe, auf Partizipation – auch der Nachbarschaft. Wir wollen uns vernetzen und zusammenwachsen.“ Es darf auch gern anspruchsvoll sein, denn ein kleines Theater zu sein bedeutet nicht, Kleinigkeiten zu produzieren. Natürlich ist Obdachlosigkeit kein leichtes Thema. Dennoch, so verspricht die 46-Jährige, werde es mitunter auch komisch. „Humor ist ein guter Träger für harte Themen.“ Im Idealfall gehen die Besucher mit mehr Empathie für wohnungslose Menschen aus dem Theater. Und schenken der Frau oder dem Mann an der Straße nicht nur einen Euro, sondern ehrliche Beachtung, Respekt und ein Lächeln.
Weitere Informationen
online unter www.kulturbuehne-spagat.de.