Mit großer Geste

von Redaktion

Die Münchner Philharmoniker am ersten Abend von „Klassik am Odeonsplatz“

VON TOBIAS HELL

Der erste Blick wandert bei „Klassik am Odeonsplatz“ meist nach oben. Verbunden mit einem stummen Stoßgebet, dass der Himmel über der Feldherrenhalle doch bitte seine patriotischen bayerischen Farben Weiß und Blau behalten möge. Und ja: Das Wetter hatte am Samstag tatsächlich ein Einsehen und machte dem größten Münchner Klassik-Event des Sommers keinen Strich durch die Rechnung.

Zum zufriedenen Lächeln in den Gesichtern der Münchner Philharmoniker dürfte am Ende des Abends aber auch die Aussicht in die andere Richtung einen nicht unwesentlichen Teil beigetragen haben. Denn nach den zurückliegenden Absagen und verkürzten Notfallprogrammen in den Vorjahren konnten endlich wieder rund 8000 Menschen ohne Einschränkungen dem seit Wochen ausverkauften Konzert lauschen. Nach solch langer Entwöhnungsphase durfte dann vor lauter Begeisterung gern mal zwischen die Sätze hineingeklatscht werden. Schließlich läuft es auf den Klappstühlen unterm Sternenhimmel eh nicht ganz so streng wie im benachbarten Herkulessaal. Und in den Zeiten, als Tschaikowsky sein Violinkonzert komponierte, waren spontane Beifallsbekundungen wie diese bekanntlich auch keine Seltenheit.

Beim Neustart auf dem Odeonsplatz galt der Jubel zunächst Geiger Leonidas Kavakos, der eine nach vorne stürmende, fast aggressive Interpretation von Tschaikowskys Opus vorstellte. Wobei die sehr auf den Solisten fokussierte Ton-Abmischung diesen Eindruck noch verstärkt haben mochte und die Lautsprecher ebenfalls kleine Unsauberkeiten hervortreten ließen, die sich im Überschwang der Emotionen eingeschlichen hatten. Oder war es einfach nur die Schuld des zwischendurch über der Feldherrhalle kreisenden Helikopters?

Nicht minder effektvoll, aber deutlich ausgewogener im Klang präsentierte sich nach der Pause Antonín Dvořáks Symphonie Nummer neun „Aus der Neuen Welt“. Ein weiterer Klassiker, der seine Open-Air-Tauglichkeit vielfach bewiesen hat und von den beteiligten Orchestern auch auf dem Odeonsplatz in regelmäßigen Abständen immer wieder gern hervorgeholt wird. Aber warum nicht? Das Werk ging den Philharmonikern überaus locker von der Hand. Und dafür, dass sich keine Routine einschlich, sorgte neben den positiven Energien, die aus dem Publikum aufs Podium hochschwappten, vor allem Dirigent Daniel Harding. Da war dann schnell vergessen, dass auf manchen weit im Voraus gekauften Tickets noch der Name des hinauskomplimentierten Ex-Chefdirigenten Valery Gergiev aufgedruckt war.

Harding, der den Odeonsplatz bereits von drei Auftritten mit dem BR-Symphonieorchester bestens kennt, startete mit sehr zügigen Tempi und gab den Philharmonikern nur wenig Zeit zum Durchatmen. So etwa im intensiv ausgestalteten Largo, das der Dirigent in Vorahnung des rasch einsetzenden Beifalls nahtlos an die expressiven Schlusstakte des ersten Satzes anschloss, um den Spannungsbogen nicht abreißen zu lassen.

Keine Angst vor großen Gesten ebenfalls im Scherzo, das neben den mit Nachdruck agierenden Streichern auch die Holz- und Blechbläser in Hochform zeigte. Wie sich bei diesem slawischen Abend auf der Zielgeraden noch der gute alte Johann Strauß junior mit der „Tritsch-Tratsch-Polka“ unter die Zugaben schleichen konnte, wird wohl das Geheimnis des Dirigenten bleiben. Aber was bei den Wiener Kollegen funktioniert, verfehlte auch hier nicht seine Wirkung und ließ das Publikum beschwingt durch die Nacht nach Hause ziehen.

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