Schöne neue Welt?

von Redaktion

AUSSTELLUNG The Designmuseum zeigt 21 prägende Objekte aus 20 Jahren

VON KATJA KRAFT

Was sind wir faul geworden in den vergangenen 20 Jahren. Doch wie niedlich wir das kaschieren. Durch raffitückische technische Hilfsmittel. Ein paar davon stehen von heute an in der Neuen Sammlung – The Designmuseum in der Pinakothek der Moderne. Und zeigen den großen Zwiespalt des modernen Menschen auf: sein ständiges Pendeln zwischen Bequemlichkeit und Selbstoptimierung.

Einerseits wird uns immer mehr durch Technik abgenommen – andererseits möchten wir aber bitteschön trotzdem noch aussehen wie jemand, der täglich heftig rackert. Phänomen: mit dem Auto zum Fitnessstudio. Und wenn Rosa Carole Rodeck, Kuratorin der Schau „20 Jahre Pinakothek der Moderne / 21 Objekte“, dann davon erzählt, dass in manchen französischen Grundschulen Schuhe mit Schnürsenkeln verboten sind, weil – aufgepasst! – die Lehrer keine Zeit haben, ständig die Schuhe der Kinder zuzubinden, weil die Kleinen das selbst nicht gelernt haben, fragt man sich schon: Ist das noch Fortschritt – oder ein Schritt zurück in Schnürsenkel-freien Tretern?

Sneakers wie die der Firma Nike beispielsweise. Sie stehen in der pinken Vitrine mit der Aufschrift „21“. Die Zahlen zeigen an, wann das jeweilige Objekt entworfen wurde. Weil die Pinakothek der Moderne und damit auch das darin beheimatete Designmuseum heuer 20 werden, hat Rodeck 21 Stücke aus der Neuen Sammlung ausgewählt, die exemplarisch für soziale Entwicklungen der vergangenen zwei Jahrzehnte und des Geburtstagsjahres stehen. Für Technik, die begeistert, braucht es eben auch immer eine Gesellschaft, die sich davon begeistern lässt.

Bei besagten Sneakers etwa kann man sich nicht nur das Schnüren sparen, man hat auch sonst nichts mehr mit den Händen zu tun: Das Modell „Go FlyEase“ hat einen Klappmechanismus an der Ferse. Dadurch wird einfaches Rein- und Rausschlüpfen ohne jedes Bücken und Handanlegen möglich. Ein Bub mit körperlichen Einschränkungen hatte sich an das US-amerikanische Unternehmen mit der Bitte um einen solchen Schuh gewandt. Jahre später war der „Go FlyEase“ marktreif – Nike wirbt für das „inklusive Design“, das es Menschen mit Behinderung erleichtere, eigenständiger durchs Leben zu gehen. Beim Betrachten fragt man sich unwillkürlich, wie viele der Kunden die coolen Dinger wegen körperlicher Einschränkungen kaufen – und wie viele aus reiner Faulheit.

Auch Kulturpessimisten kommen also voll auf ihre Kosten bei dieser kunterbunten Jubiläumsschau. Die können sich beispielsweise über die Fitnessarmbänder echauffieren, die in der Vitrine zum Jahr 2011 ausgelegt sind. Sie werden von einer App begleitet, über die sich beim Tragen Schlaf-, Ess- und Bewegungsverhalten nachvollziehen lassen. Arm- statt Halsbänder für den inneren Schweinehund gewissermaßen. Oder die E-Skates der Firma Segway. Ein bisschen wie Inlineskates, nur dass man halt nicht mehr selber laufen muss.

„Schöne neue Welt?“, grummelt da mancher. Und muss sich dann doch geschlagen geben von so viel Innovations- und Designkunst. Angesichts des von Patrick Jouin entworfenen Stuhls „Solid C2“ etwa – der erste, der komplett mit einem 3D-Drucker hergestellt wurde. Normalerweise muss ein Designer erst ein Modell anfertigen, das kann sich Jouin sparen. Statt Prototyp gleich fertiges Produkt. Wie viel Müll, Zeitaufwand und Kosten da eingespart werden können. Oder das Fairphone, 2013 von Guohong mit dem Ziel entwickelt, den unfassbar großen Rohstoff-Bedarf, den es für die gängigen Smartphones braucht, zu reduzieren. Geht hier etwas kaputt, kann der Benutzer es selbst reparieren, günstige Ersatzteile sind anders als bei anderen Firmen problemlos erhältlich.

„Der Inhalt der Physik geht die Physiker an, die Auswirkung alle Menschen“, heißt’s bei Dürrenmatt. So ist’s, das nimmt man mit aus dieser Schau, auch beim Design.

Bis 15. Januar 2023

Neue Sammlung – The Design Museum; täglich außer Mo. von 10-18, Do. bis 20 Uhr.

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