Leben in der Bude

von Redaktion

Die Kammerspiele holen die Theaterinstallation „Respublika“ aus Litauen nach München

VON MICHAEL SCHLEICHER

Manchmal genügen fünf Worte, um sechs Stunden zu fassen. „Banalität und zugleich unendlicher Raum“, ruft die DJane von ihrem Pult den tanzenden Menschen im Utopia zu. Worauf sie sich bezieht, ist längst vergessen, untergegangen im Hämmern der Beats. Ihre Aussage aber weist über diesen Moment auf der Tanzfläche hinaus und umreißt ziemlich klar, was hier in den vergangenen beiden Tagen geschehen ist – und letztmals am heutigen Samstag passiert.

Die Kammerspiele haben die Produktion „Respublika“ vom Litauischen Nationaltheater nach München in die ehemalige Reithalle an der Heßstraße geholt; am Donnerstag war Deutschland-Premiere. Der Regisseur, Videokünstler und Raver Łukasz Twarkowski sowie sein engagiertes, wieselflinkes und präzise arbeitendes Technikteam haben in dieser von allen Besuchern begeh- und benutzbaren Installation dem Leben eine Bühne bereitet.

„Respublika“ ist Überforderung und Entspannung, nervtötend und lustig, laut und leise, schweißtreibend und meditativ. Sechs Stunden, die jeder Gast so erleben kann, wie er oder sie es möchte. Kommen und Gehen ist zu jeder Zeit möglich. „Kein Teilnehmer kann alles sehen, was geschieht, und das ist ganz normal“, heißt es auf dem Regelblatt, das man zusammen mit einem Lageplan am Eingang erhält. Das ist beruhigend gemeint – und doch ertappt man sich in den ersten Stunden oft bei dem Gefühl, am falschen Ort zu sein – weil woanders just in diesem Moment Spannenderes, Schöneres, Wichtigeres geschieht. Das aber ist Quatsch.

Der Einstieg in diese Theaterinstallation, die das Leben ist (oder ist es umgekehrt?), war ein Ausstieg: Das Ensemble um Twarkowski wagte einen Selbstversuch und – so will es zumindest die Legende dieser Inszenierung – nahm sich aus dem Leben, wie wir es kennen, und zog in die litauischen Wälder. Dort erschufen die Männer und Frauen eine Welt nach ihren Regeln, Wünschen, Vorstellungen – tatsächlich und im übertragenen Sinn.

Die Infrastruktur von damals habe man nun im Utopia nachgebaut: Da gibt es eine Gemeinschaftsküche mit viel benutztem Geschirr im Spülbecken, es gibt Wohn- und Schlafräume, den fast schalldichten „Pit Klub“, in dem ein DJ auflegt, eine Sauna nebst Dusche, Umkleide, Eiswasserbassin, ein Pflanzenzimmer, die „Chill Zone“ und, und, und. In den Umbaupausen sammeln sich Mitwirkende und Publikum vor der DJ-Kanzel im hinteren Bereich der Halle, um zu tanzen und zu feiern – jeder Theaterabend endet ab circa 23 Uhr in einem Rave. Das Publikum kann immer mit dabei sein – und etwa entscheiden, ob es die Szenen über das Zusammenleben während des Aussteigerjahres auf Leinwand oder Bildschirmen verfolgen möchte (Kompliment an die Bildregie!) oder am jeweiligen Spielort. Vielleicht lockt gerade aber die Hängematte mehr, oder man nimmt einen Drink an der Bar, tanzt im „Pit Klub“ oder entspannt in der Sauna. Am Premierenabend gönnten sich die ersten Besucher schon nach 45 Minuten einen Aufguss.

Die Kammerspiele forderten zuletzt immer wieder den autonomen, sich zum Geschehen bewusst verhaltenden Zuschauer, etwa in der theatralen Installation „Heilige Schrift 1“ oder in jener Neuhauser Wohnung, in der „Wo du mich findest“ spielte. Doch so frei wie hier war das Publikum nie. „Respublika“ ist, was man daraus macht: banal oder begeisternd.

Letzte Vorstellung

im Utopia, Heßstraße 132,

an diesem Samstag von 19 Uhr an, der Abschluss-Rave dauert bis 4 Uhr Sonntagfrüh. Die Tickets von Donnerstag und Freitag gelten für den Rave ab 23 Uhr, für diesen kann auch ein „Late Night Ticket“ gebucht werden; Karten an der Abendkasse. Kommen und Gehen ist jederzeit möglich.

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