Oper mit Feigenblatt

von Redaktion

PREMIERENKRITIK „Capriccio“ von Richard Strauss im Prinzregententheater

VON GABRIELE LUSTER

Die zweite Premiere der Münchner Opernfestspiele ist eigentlich ein dritter Aufguss. David Marton erarbeitete seine Inszenierung von Richard Strauss’ „Capriccio“ 2013 für die Opéra National de Lyon und präsentierte sie als Koproduktion hernach in La Monnaie in Brüssel. Am Sonntag kam sie in München an, wo das „Konversationsstück für Musik“ 1942 im Nationaltheater uraufgeführt wurde. Nun hievte Bühnenbildner Christian Friedländer seinen Querschnitt durch ein Hoftheater auf die Bühne des Prinzregententheaters, wo zunächst vor noch geschlossenem Vorhang das wundersame Streichsextett, mit dem Strauss seine letzte Oper startet, erklang. Fern nicht nur dem Kriegslärm von 1942, sondern auch dem Heute – eine dichte, fein gewebte, transparente Klangwelt, erschaffen und belebt von sechs Mitgliedern des Staatsorchesters.

Ihm hätte Lothar Koenigs auch im weiteren Verlauf des Abends noch mehr Differenzierung und Esprit, mehr Feinschliff und Gestik abgewinnen können, denn schließlich steckt Strauss in der DNA des Ensembles. Doch der Dirigent nutzte die Möglichkeiten, die diese höchst raffinierte, intelligente Zaubermusik bietet, nicht bis ins Detail. Gleichwohl kostete er die kurzen Klangrausch-Momente aus, steuerte sicher durchs komplexe Geschehen und bot den dauerparlierenden Sängern den nötigen Halt.

So konnte sich das Protagonisten-Sextett mit Gräfin, Graf, Dichter, Musiker, Theaterdirektor und Schauspielerin intensiv dem Disput und sich selbst widmen und die Frage nach dem Vorrang von Wort oder Ton, Dichtung oder Musik offen lassen. Stefan Zweig hatte Strauss 1934 auf die Idee gebracht, sich dieses Themas anzunehmen, das Salieri mit „Prima la musica, poi le parole“ bereits 1786 musikalisch erörtert hatte. Doch da die Zusammenarbeit mit dem jüdischen Dichter in der NS-Zeit schwierig wurde, schlug dieser Joseph Gregor als Librettisten vor. Seine Entwürfe missfielen Strauss, und so zimmerte er selbst mit den Dirigenten Clemens Krauss und Hans Swarowsky das Libretto, in dem er „Verstandestheater, Kopfgrütze, trockenen Witz“ vereinen wollte.

Auf jeden Fall adelte er das zuweilen hintergründige „Palaver“ mit seiner Musik und erzielte mitten im Krieg 16 Aufführungen im Nationaltheater. Eskapismus lautet immer noch der Vorwurf gegenüber Strauss und Krauss, die während des NS-Regimes wichtige Posten bekleideten. Wer den Gedanken an die grauenvolle Entstehungszeit nicht ausblenden kann, wird mit „Capriccio“ und seiner Wort-oder-Ton-Diskussion nie glücklich werden. Immer wieder blendete die Regie, etwa Jonathan Miller in Berlin oder Brigitte Fassbaender in Frankfurt, den Krieg ins Geschehen ein, und auch David Marton siedelte seine Inszenierung in der Entstehungszeit an.

Doch die fast verschämten Andeutungen wirkten wie Feigenblättchen: Da splittete er die junge Ballerina in drei Tänzerinnen auf (Elevin, Ballerina, alte Tänzerin), die „vermessen“ wurden und, als Jüdin „entlarvt“, zur Deportation ins KZ musste. Da machte er aus dem verschlafenen Souffleur Monsieur Taupe einen wachen Spitzel im Trenchcoat, der sich im Schlussbild vervielfachte. Da steckte er den Haushofmeister in eine Uniform und ließ ihn die Ballett-Elevin mit einem Stöckchen piesacken. Da hätte man von Marton, der sich vor Jahren in den Kammerspielen als fantasievoller, kühner Opern-Umkrempler vorgestellt hatte, Direkteres, Verstörenderes erwartet. Er blieb brav und brach das artifizielle Gebilde nicht auf.

Die Sänger hatten also leichtes Spiel, durften sich im Theater auf dem Theater verlustieren und die theoretischen Auseinandersetzungen mit ihren amourösen Verstrickungen verschmelzen. Denn auch darum ging es Strauss und den Mitstreitern: Dichter Olivier und Musiker Flamand umwerben, heiß verliebt, die verwitwete Gräfin Madeleine, die sich weder zwischen den Künsten noch den Männern entscheiden kann und für eine Oper plädiert. Diana Damrau punktete als verspielte, leichtsinnige junge Gräfin mit silbrig schimmerndem Sopran und wandelte in ihrer Schlussszene auf den Spuren der „Rosenkavalier“-Marschallin. Leider ging viel Text verloren.

Das galt auch für Pavol Bresliks Flamand, der seltsam blass blieb. Kernig setzte sich Vito Priante als draufgängerischer Olivier in Szene – mit Charme, elegantem Bariton und präziser Textbehandlung. Mit Wucht, in Gestalt wie Stimme, kämpfte Kristinn Sigmundsson in der Rolle des gestandenen Theaterpraktikers La Roche für leibhaftige Menschen auf der Bühne – ein Fels im Spott der anderen. Michael Nagy ließ an des Grafen Literaturbegeisterung keinen Zweifel, sang gekonnt und deklamierte pathetisch, auf dass die Pariser Schauspielerin Clairon (Tanja Ariane Baumgartner) ihn erhöre. Einhelliger Beifall.

Weitere Vorstellungen

am 20., 23., 25. und 27. Juli, Telefon 089/21 85 19 20.

Artikel 5 von 11