Opernhäuser, Theater und Konzertsäle monatelang zusperren: Nach Ansicht von Wissenschaftlern sei dies nicht notwendig gewesen. Diese Maßnahmen, so der kürzlich veröffentlichte Evaluierungsbericht, den der Expertenrat der Bundesregierung vorlegte, seien allenfalls zu Beginn der Pandemie sinnvoll gewesen. Tenor Wolfgang Ablinger-Sperrhacke sieht sich damit in seiner heftigen Kritik an den Dauer-Lockdowns bestätigt. Zusammen mit der Initiative „Aufstehen für die Kunst“ hat er Klagen gegen die Maßnahmen angestrengt. Eine ist noch anhängig. Sollte diese nun Erfolg haben, bedeutet dies: Kunstschaffende könnten nachträglich auf Geld hoffen.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Lage: Was passiert mit der Kultur im Herbst?
Vor allem hoffen wir, dass bis dahin Entscheidungen des Bayerischen und Österreichischen Verfassungsgerichtshofs in unserer Sache vorliegen. Durch den Evaluierungsbericht ist ja offenkundig geworden, dass man gravierendste Grundrechts-Einschränkungen ohne ausreichende Datenlage verhängt hat. Im Gegensatz dazu gibt es im Bereich Konzert und Theater sogar ausschließlich eindeutige wissenschaftliche Studien, die belegen: Das Zusperren bei entsprechenden Hygienemaßnahmen war nicht erforderlich. Dies wurde von der Politik ignoriert. Die Kultur wurde insgesamt zwölf Monate lang verhindert, das ist rund drei Monate länger als seinerzeit im sogenannten totalen Krieg. Ich habe schon früh auf die verfassungsrechtlich problematische Situation hingewiesen: Kunstfreiheit rangiert auf dem gleichen Level wie etwa Religions- und Pressefreiheit. Sie ist vorbehaltlos garantiert.
Und die Realität hat Ihnen Recht gegeben.
Das stimmt. Die Salzburger Festspiele zum Beispiel fanden 2020 ohne einen Corona-Fall im Publikum statt. Kultur war und ist also kein Infektionstreiber. Einer unserer Eilanträge ist abgelehnt worden, weil die Landesanwaltschaft mit falschen Behauptungen argumentiert hat. Etwa damit, dass wissenschaftliche Untersuchungen noch nicht abgeschlossen seien. Was eine mögliche Gefährdung des Publikums betrifft, stimmte das einfach nicht. Hier lagen abschließende Daten vor. Außerdem hieß es von der Gegenseite sinngemäß: Solange man etwa noch unzensiert komponieren oder überhaupt singen dürfe, sei der Kunstfreiheit Genüge getan. Das ist so, als würde man einem Journalisten sagen: Die Pressefreiheit ist gewährleistet, solange er einen Artikel schreiben kann – auch wenn’s nur für die Schublade ist. In dieser Argumentation wäre die Kunstfreiheit sogar während der Zeit des Nationalsozialismus garantiert gewesen. Absurd!
Unter anderem Markus Söder hat gesagt, einen Lockdown für die Kultur werde es nicht mehr geben. Glauben Sie diesem Versprechen?
Mir wurde seinerzeit bei meiner Ehrung als Bayerischer Kammersänger vom damaligen Kunstminister Bernd Sibler versprochen, wesentliche Einschränkungen werde es nicht mehr geben. Und dann hat Bayern doch wider alle Studien die Auslastung der Säle willkürlich auf 25 Prozent gesenkt. Das hat noch immer massive Auswirkung auf die Kartennachfrage. Die Auslastung ging überall drastisch zurück. Die Wiener Staatsoper etwa hat sich von den zwei Pandemie-Wintern nicht mehr richtig erholt. Häuser, die nur einen Lockdown zu verkraften hatten, wie in Frankreich, konnten sich viel besser erholen.
Vielleicht hat die Kulturpolitik daraus trotzdem etwas gelernt.
Nach der Premiere von „Die Teufel von Loudun“ habe ich mit dem neuen Kunstminister Markus Blume darüber gesprochen. Er meinte, heute würde man nicht mehr so entscheiden. Auch deshalb hoffe ich auf ein entsprechendes Urteil des Verfassungsgerichtshofes. Und dieses birgt ja eine erhebliche Sprengkraft. Es würde bedeuten, dass der Teil der Corona-Maßnahmen, die die Theater betreffen, rechtswidrig war. Und dann müssten auch alle Kompensationen auf den Prüfstand. In Frankreich war es immerhin so, dass es 50 Prozent steuerfrei als Ausfallgage gab, in der Schweiz bekamen die Kunstschaffenden 80 Prozent Umsatz-Ersatz.
Das Urteil hätte also auch Auswirkungen auf die Ausfallregelungen für Kunstschaffende?
Genau. Dann können Absagen von Vorstellungen und Konzerten nicht mehr mit „höherer Gewalt“ gerechtfertigt werden. Dann sind die öffentlich-rechtlichen Träger zu Entschädigungen in vollem Ausmaß verpflichtet. Rein nach der Faktenlage kann das Urteil eigentlich nicht anders lauten. Man kann wissenschaftliche Studien nicht einfach für ungültig erklären –- ebenso wenig wie die verfassungsrechtliche Stellung der Kunstfreiheit. Dieser finanzielle Ausgleich betrifft übrigens auch die schon erfolgten Subventionskürzungen.
Sollten die Zahlen noch weiter steigen: Ist es dann wieder aus mit der Kultur?
Das glaube ich nicht, weil die FDP das in der Ampelkoalition klar ausgeschlossen hat. Und um ein neues Infektionsschutzgesetz auf den Weg zu bringen, braucht es ja die Stimmen dieser Partei. Corona wird uns sicherlich noch lange begleiten. Auch im Mitarbeiterschutz muss daher dementsprechend gehandelt werden. Die neue Direktion der Bayerischen Staatsoper hat zum Beispiel die Corona-Taskforce abgeschafft. Außerdem hat man es verabsäumt, für Zweitbesetzungen zu sorgen – also mussten Vorstellungen gekippt werden. Auch die Theater müssen also aus den vergangenen Jahren lernen, Verantwortung übernehmen und natürlich nicht bestehende Notfall- und Testsysteme aus der Corona-Zeit abschaffen. Immerhin haben viele während der Lockdowns trotz Vorstellungsabsagen dank der Kurzarbeit und verringerter Zahlungen an die Freischaffenden sogar Gewinne erwirtschaftet.
Das Gespräch führte Markus Thiel.