Reizvolle Rarität

von Redaktion

PREMIERENKRITIK Ernest Chaussons „König Arthus“ bei den Tiroler Festspielen in Erl

VON TOBIAS HELL

Mit mythischen Stoffen kennt man sich aus in Erl. Wagners „Ring“ ist seit der Festival-Gründung ein Fixpunkt im Kalender der Tiroler Festspiele. Weil man im Inntal – anders als in Bayreuth – jedoch nicht auf einen Komponisten festgelegt ist, ist es aber durchaus sinnvoll, den Blick ab und zu über die germanische Sagenwelt hinaus schweifen zu lassen. Fündig wurde der künstlerische Leiter Bernd Loebe diesmal beim Franzosen Ernest Chausson (1855-1899), der sich für seine einzige Oper von den Legenden um den englischen König Arthus inspirieren ließ.

Wie viele andere Komponisten seiner Generation hatte sich allerdings auch Chausson am übermächtigen Schatten Wagners abzuarbeiten, der für „Le Roi Arthus“ in mehr als einer Hinsicht Pate stand. So erinnert etwa die Personenkonstellation an „Tristan und Isolde“: Hier wie dort findet sich ein alternder König, dessen junge Gattin ihn mit einem seiner Vasallen betrügt. Und nicht ohne Grund hatte einst auch Regisseur John Boorman für den Soundtrack seines Films „Excalibur“ ordentlich beim Bayreuther Meister gewildert.

Harmonische Anklänge an Wagner sind bei Chaussons Drame-lyrique, das 1903 postum aus der Taufe gehoben wurde, an mehr als einer Stelle deutlich zu hören. Doch gelingt es in Erl Dirigent Karsten Januschke, den Komponisten nicht zum Epigonen abzustempeln, sondern die Besonderheiten seiner Tonsprache herauszuarbeiten. Neben den spätromantischen Ausbrüchen der orgiastischen Liebesduette zwischen Ritter Lancelot und Königin Genièvre beleuchtet Januschke immer wieder die Modernität der Partitur und setzt auf ein analytisches Klangbild. Ein sensibler Zugriff, von dem seine Sängerinnen und Sänger hörbar profitieren.

Allen voran Domen Križaj als Titelheld. Er bringt für den betrogenen König neben markanter Bühnenpräsenz vor allem einen nobel timbrierten Bariton mit, der trotz metallischem Kern nie die lyrische Grundfarbe verliert. So dominiert er nicht nur bei den Feierlichkeiten nach Arthus’ siegreicher Heimkehr aus der Schlacht, sondern überzeugt ebenso in den privaten Momenten, in denen er tiefe Einblicke in die gebrochene Seele seiner Figur gewährt.

Erwähnt sei hier die Begegnung mit seinem Mentor Merlin. Eine kurze, aber keineswegs unwichtige Szene, in der sich Kabelo Lebyana als würdiger Partner erweist, dessen ebenmäßig geführter Bassbariton einen reizvollen Kontrast zu Križajs Stimme bildet. Solche Nuancen würde man sich auch bei Nebenbuhler Lancelot öfter wünschen: Den geht Tenor Aaron Cawley mit beeindruckenden stimmlichen Reserven an, reduziert ihn jedoch durch permanente Kraftmeierei zu einem relativ eindimensionalen Charakter, der selbst auf dem Totenbett noch versucht, die anderen an die Wand zu singen.

Anna Gabler lässt sich davon zum Glück nicht herausfordern. Mit gestähltem Sopran steht sie auch in dramatischen Momenten ihre Frau, findet aber immer wieder sanfte Zwischentöne, durch die sie die inneren Konflikte der Königin hörbar werden und gerade in ihrer bewegenden Sterbeszene beim Publikum den Atem stocken lässt. Obwohl sie sich nicht scheut, die verletzlichen Seiten Genièvres zu zeigen, darf Gabler eine alles andere als passive Königin verkörpern. So hat sie etwa beim Mordversuch am intriganten Verräter Mordred selbst die Hand im Spiel und stellt sich damit an die Spitze der kriegerischen Schildmaiden, die Regisseurin Rodula Gaitanou unters Soldatenvolk mischt.

Abgesehen davon bewegt sich die optisch irgendwo zwischen dem Streaming-Hit „Vikings“ und einer „Ring“-Inszenierung aus den Sechzigern verortete Produktion aber meist in konventionellen Bahnen und gewinnt erst im dritten Akt an Profil. Was man bei der „Nibelungen“-Tetralogie wahrscheinlich nicht durchgehen lassen würde, was bei der ersten Begegnung mit einer reizvollen Rarität wie dieser aber nicht allzu sehr ins Gewicht fällt.

Weitere Vorstellungen

am 27. und 30. Juli; Karten unter ticket.tiroler-festspiele.at.

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