Grenzgänge der Liebe

von Redaktion

SALZBURGER FESTSPIELE Asmik Grigorian mit den drei Sopran-Rollen in Puccinis „Il trittico“

Schon lange riecht das schwer nach Dramaturgenschweiß. Wie die Opern von Giacomo Puccinis „Il trittico“ zusammenzwingen? Wie Gemeinsamkeiten entdecken, behaupten, zeigen? Dabei war der Meister selbst, wenn auch unwillig, zu Kompromissen bereit, ließ Einzelaufführungen, letztlich Zerstückelungen seines 1918 in New York herausgekommenen Dreierpacks zu. Und womöglich hätte er gütig gelächelt über die Salzburger Festspiellösung, die alles einfach umstellt. Zunächst die Groteske „Gianni Schicchi“ also, von hinten nach vorne geholt, dann „Il tabarro“ und schließlich „Suor Angelica“, eine dramatische Zunahme an Emotion und Pathos ergibt das. Denn ohnehin, mal ehrlich: Was soll nach dem Tränensee des Nonnen-Suizids noch kommen?

Im Großen Festspielhaus gibt es eine sehr einfache Klammer, und die heißt Asmik Grigorian. Alle drei Sopran-Partien singt die seit „Salome“ zum Festspielliebling gekürte Litauerin. Drei Charaktere, eine Stimme, nicht immer geht das optimal auf. Ihre Lauretta in „Gianni Schicchi“ lässt sie herb aufleuchten, übersingt aber, dass „O mio babbino caro“ auch ironisch gemeint ist. Am vielschichtigsten glückt die Giorgetta („Il tabarro“). Regisseur Christof Loy und seine neue Muse machen klar: Das Stück lässt sich nicht auf ein Eifersuchtsdrama reduzieren. Noch immer ist da Liebe zwischen Giorgetta und ihrem Mann Michele. Einmal bettet sie ihren Kopf an seine Brust – und wenn wir’s, um der gemeinsamen Geschichte willen, noch einmal versuchen?

Auch stimmlich hört man einiges mitschwingen. Jungmädchenhaftes driftet bei der Grigorian in dramatischen Aplomb, Zartbitteres steht neben dem Verzweiflungsausbruch. Die Angelica in Teil drei wird zum Grenzgang. Mit Karita Mattila als Fürstinnen-Domina ist ohnehin die kritische Sängerinnen-Masse erreicht. Erst die scheue, in sich ruhende Nonne, dann die Frustrationseruptionen, schließlich der vokal weiträumige, großbogige Blick ins bessere Jenseits: Das ist in seiner Unbedingtheit, als singdarstellerisches Gesamtkunstwerk eindrücklich. Doch man hört auch Anstrengung bei der Grigorian mit, den Kampf um Töne. Ob die heftigen Strauss- und Wagner-Einsätze doch Spuren hinterlassen haben? Und ob man es nicht mit mehr Diktionsarbeit versuchen sollte?

Loy rollt alle drei Dramen als gebrochenen Realismus auf. Der „Gianni Schicchi“ kommt ohne Karikaturenparade aus, ist delikat abgeschmeckte, erotische Commedia. Als sich alle an den jugendlichen Titelhelden-Sänger Misha Kiria schmiegen, wird deutlich: Da steigt die Gier, nicht nur nach Geld. Ein riesiges Zimmer (Bühne: Étienne Pluss) bestimmt alle drei Opern, und das in radikaler Reduktion. Bett und Stühle reichen für „Gianni Schicci“, Tische und Stühle plus Topfpflanzen für „Suor Angelica“, einzig in „Il tabarro“ dominiert ein Lastkahn die Szene.

Jede Minirolle bekommt, typisch Loy, eine eigene Geschichte, ist plausibel, plastisch, nie denunzierend gezeichnet. Die Eigenheiten von Sängerinnen und Sängern verschmelzen mit den Figuren. Mühelos könnte man mit der Kamera draufhalten, diese Opern-Regie hat Kino-Klasse. Manchmal friert das Geschehen ein, schwarze Löcher werden spürbar, ein Blick über 15 Metern sagt mehr als eine Geste. Und nie werden vorschnelle Urteile gefällt. Es gibt immer eine andere Möglichkeit, signalisiert der Abend. Bei „Il tabarro“ mit der verschütteten Liebe zwischen Giorgetta und Michele, aber auch bei „Suor Angelica“: Als die Titelheldin die Nachricht vom Tod des Sohnes erfährt, zieht sie die Schwestern-Tracht aus, verwandelt sich mit Zigarette, kurzem Schwarzen und offener Lockenmähne in eine selbstbewusste Frau. Keine Kitsch-Orgie samt Marien-Erscheinung, mit dem imaginierten Kind liegt sie leblos an der Rampe. Doch man spürt: Problemlos hätte sie auch das Kloster verlassen und sich eine andere Existenz suchen können.

Ähnlich fein geklöppelt wie Christof Loys Inszenierung ist das, was aus dem Graben tönt. Die Wiener Philharmoniker dürfen bei den großen Ballungen zwar Gas geben. Doch Franz Welser-Möst interessiert sich sonst für anderes. Für das weiche, abgetönte Klanggewirk in „Il tabarro“, für das dank der Wiener güldene Commedia-Schillern in „Gianni Schicchi“ und für das schlackenfreie, durchlüftete Pathos der „Suor Angelica“. Es ist ein aufregender Blick in Puccinis Werkstatt, der vorführt: Auch Dirigenten, die sonst mit deutschem Fach assoziiert werden, haben ein Händchen für diese Partituren – man denke nur an Christian Thielemann oder Wolfgang Sawallisch.

Bis auf die Heroine Karita Mattila und Hanna Schwarz als La Badessa mit einem Cameo-Auftritt ist das ein auffallend jugendliches, daher vokal-agiles Ensemble. Das betrifft Misha Kiria als Schicchi, besonders aber Roman Burdenko als Michele und die hohen Testosteron-Werte seines kernigen Gesangs. Alexey Neklyudov ist ein sehr lyrischer Rinuccio, für den Welser-Möst etwas auf die Bremse tritt, Joshua Guerrero ein Luigi aus dem Musterbuch des Italian Lover. Kein Ausfall, alles ortsangemessen besetzt. Erwartbar auch der Jubel. Armut, Einsamkeit und Lebensüberdruss funktionieren auf der Bühne noch immer am besten, wenn der Schampus danach winkt.

Weitere Vorstellungen

am 5., 9., 13., 18. und 21. August, salzburgerfestspiele.at; Übertragung bei Arte Concert am 13. August, 18.30 Uhr, danach verfügbar in der Mediathek.

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