Augenblick, verweile

von Redaktion

AUSSTELLUNG Die Galerie Vogdt zeigt Skulpturen und Fotokunst

VON KATJA KRAFT

Die beiden Kracher stehen rechts und links. Leuchtendes Rot, leuchtendes Blau – Figuren, die gerade noch umhergewirbelt zu sein scheinen. Ein rauschhafter Moment, in Aluminium eingefangen, von Autolack ummantelt. Das pralle Leben. Glaubt keiner, dass die Künstlerin hinter diesen Skulpturen, die nun in der Münchner Galerie Vogdt angeboten werden, schon 83 Jahre alt ist. Und dann wieder doch. Denn in den vergangenen acht Jahrzehnten hat diese Frau den Tanz des Lebens in sämtlichen Stilen kennengelernt. Mit all den unvorhergesehenen Taktwechseln, den Limbo-Späßen, den wogenden Walzer-Momenten und denen, in denen es wehtut, weil das Schicksal einem auf den Fuß tritt und unsanft auf dem glatten Parkett landen lässt. Dann immer wieder aufstehen, das ist die Devise von Künstlerin Rotraut. Jahrgang 1938, Schwester von Günther Uecker, verheiratet mit Yves Klein (1928-1962). Ihr Hochzeitsjahr ist sein Sterbejahr. Wenige Monate nach der Trauung wurde Rotraut, damals hochschwanger, Witwe. Und verlor Partner und Kindsvater.

Ein Mittel zum Überwinden von Schmerz, auch das kann der künstlerische Prozess sein. Nicht nur deshalb beeindruckt Rotrauts Werk. „Sie hat es geschafft, sich in dem Umfeld von zwei Übermännern der Kunstgeschichte selbst zu positionieren, ihren künstlerischen Weg zu gehen“, sagt Sonja Lechner. Die Kunsthistorikerin wird heute Abend die Vernissage eröffnen. Und dann auch auf die „zwei Kracher“ in Blau und Rot eingehen, die Galerist Stefan Vogdt für ihre Jugendlichkeit liebt. „Die kommen so jung rüber, so leicht und federnd.“

Tatsächlich spürt man den Schwung, mit dem Rotraut bei einem Action-Painting à la Jackson Pollock Farbe auf eine Leinwand gespritzt hat. Einige Figuren, die so auf der Bildfläche entstanden, wählte sie aus und formte sie aus Aluminium nach. Die zwei in der Galerie am Münchner Hofgarten sind die letzten auf dem Markt verfügbaren. Preis: 39 000 Euro (blau) und 63 000 Euro (rot).

Das Motto der Ausstellung lautet zwar „everything is sculpture“, doch umsäumt werden Werke wie die filigrane Glasarbeit von Tony Cragg (69 000 Euro), das Surfbrett von Rosemarie Trockel (45 000 Euro) oder Arne Quinzes Farbexplosion (125 000 Euro) von feinsinnigen Fotografien. Seit Jahren führt die Galerie Yamamoto Masao, einen der bekanntesten Fotokünstler Japans. Sein malerischer Blick auf die Welt fasziniert. Ihm gelingt es, Dinge, Augenblicke, Tiere, Menschen in den Fokus zu rücken, an denen wir sonst achtlos vorbeilaufen würden. Wie den Buben am Wasser, der im Spiel versunken Wellen schlägt. Oder die Wolke, die träumerisch über zwei Bäumen schwebt. Als würde sie gleich wieder verschwinden. Luft und Wasser, für die Ewigkeit festgehalten. Beeindruckt fragt man sich, wie ein Mensch ein solches Gespür für den richtigen Moment haben kann. Als würde die Welt nur darauf warten, dass jemand ihre Schönheitsflecken inszeniert. Wobei Masao selbst niemals von Inszenierung sprechen würde. Als „Beobachter des Lebens“ sieht er sich selbst. Und ist für Einstiegssammler erschwinglich: Die ausgestellten Arbeiten beginnen bei rund 1000 Euro.

Auch keine Skulptur, doch ein Bild mit skulptural anmutenden Motiven ist die Arbeit von Jirí Georg Dokoupil. Der deutsch-tschechische Künstler hat schon vor Jahrzehnten ein Verfahren entwickelt, mit dem er Seifenblasen auf Leinwand einfangen kann. Er gehört zu den Vertretern der Jungen Wilden der Achtzigerjahre. „untitled“ ist zwar von 2019, doch das Ungezügelte hat der inzwischen 68-Jährige nicht verloren. Die mit Farbpigmenten und Kleber versetzte Seifenlauge lässt er auf die Leinwand schweben und fixiert sie. Wie von unzähligen Regenbogen gespiegelte Pfützen; ovale Kaleidoskope, zu haben für 47 000 Euro. Wieder so ein Werk eines Augenblick-Fängers.

Überhaupt fühlt man sich in der sonnendurchfluteten Galerie, die heute Abend nach den Corona-geprägten Ausstellungseröffnungen der vergangenen Jahre wieder mit vielen Menschen Kunst feiern kann, gleich ein bisschen fröhlicher. Die Türen zum Hofgarten aufgerissen, Lebensfreude und Sommergefühl an diesem Ort, den die Nationalsozialisten einst für ihre Propaganda missbraucht haben. Zum frischen Wind, der durch die Räume weht, passen die Möbel, die die finnische Architekten- und Designlegende Alvar Aalto (1898-1976) einst so visionär entwickelt hat. Im Obergeschoss stehen einige von Aaltos Stühlen, Sofas, Sesseln. Heute sind wir diese gebogenen Holzformen gewohnt, verwöhnt von den Ideen-Dieben Ikea und Co. Doch man muss sich einmal vorstellen, wie dieses reduzierte Design vor 90 Jahren auf das Publikum gewirkt haben muss. Zwischen all den schweren, prunkvoll verzierten Eichenmöbeln schufen Innovatoren wie Aalto völlig Neues. Wer hat wohl schon auf dem Armchair 403 (4800 Euro) gesessen? Wer am Table 915 (9800 Euro) gegessen, getrunken, gestritten, gelacht und gesungen? Klar kann man sich die billigere Ikea-Variante kaufen. Wer aber auf Antiquitäten setzt, der kauft immer auch die Erinnerungen mit, die in das Holz eingeschrieben sind. Hinsetzen, innehalten, kurze Pause, und dann weiter, immer weiterwirbeln im Tanz des Lebens.

„everything is sculpture“

Galeriestraße 2. Mo.-Fr. 12-18.30 Uhr, Sa. 12-14 Uhr und nach Vereinbarung.

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