Jedermanns erfolgloser Nachfolger

von Redaktion

Heute vor 100 Jahren kam „Das große Welttheater“ bei den Salzburger Festspielen heraus

VON PAULA KONERSMANN

Das Theater im Theater, die Bühne auf der Bühne: eine alte Metapher, die im Barock entscheidend geprägt und ausgestaltet wurde. Sie findet sich bereits bei antiken Denkern wie Epiktet, und auf den Punkt bringt sie der berühmte Satz von William Shakespeare: „All the World’s a Stage“. Weitere Autoren – Johann Wolfgang von Goethe, Bertolt Brecht oder Erving Goffman – sollten diese Idee des Welttheaters aufgreifen.

Einem breiten Publikum bekannt wurde sie Mitte des 17. Jahrhunderts zunächst durch den spanischen Dichter Pedro Calderon de la Barca. Dessen Mysterienspiel „Das große Welttheater“, das heute als eines seiner berühmtesten Werke gilt, diente wiederum dem Österreicher Hugo von Hofmannsthal als Vorlage für dessen Stück „Das Salzburger große Welttheater“. Zwei Jahre später als ursprünglich geplant, wurde es genau heute vor 100 Jahren, am 12. August 1922, bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt.

Mit der ersten Ausrichtung der Festspiele 1920 war der „Jedermann“, ebenfalls aus der Feder Hofmannsthals, zu einer Art Markenzeichen des Festivals geworden. An diesen Erfolg konnte „Das große Welttheater“, das in der Kollegienkirche in der österreichischen Stadt seine Premiere feierte, nicht anknüpfen. Das Stück stand 1925 noch einmal auf dem Programm; 1933 inszenierte es Max Reinhardt, Mitgründer der Festspiele – erneut in Berlin. Der Deutschlandfunk erinnerte vor einigen Jahren daran, dass die Berliner Generalprobe in jener Nacht stattfand, als der Reichstag brannte – ein, wie es hieß, „gespenstisch aktueller Hintergrund“ für das Stück.

Im Fronleichnamsspiel Calderons stehen die Hoffnung und die Suche nach dem rechten Handeln im Zentrum der Handlung. Der Dichter, einer der Hauptvertreter des spanischen „Siglo del Oro“, des „Goldenen Jahrhunderts“, lässt in seinem Bühnenstück den Schöpfer selbst auftreten, der den übrigen Figuren ihre Rollen zuteilt und so die Weltbühne bevölkert. Für die Schauspieler ergibt sich damit die aus heutiger Sicht ebenso ungewöhnliche wie reizvolle Aufgabe, einschlägige Allegorien wie die Schönheit, die Demut oder den Überfluss überzeugend zu verkörpern.

In den Übertragungen des romantischen Dichters Joseph von Eichendorff fand wiederum Hofmannsthal entscheidende Gedanken zum theologischen Problem des freien Willens, das er in seinem gesamten dramatischen Werk immer wieder aufgreift. Das Mysterienspiel, ursprünglich aus dem Mittelalter stammend, sah er zugleich als Möglichkeit, zu den Wurzeln der deutschen Literatur zurückzukehren. Also machte er sich an die Nachdichtung des Stücks vom „großen katholischen Dichter Calderon“, wie er den Spanier nannte. Auch sah Hofmannsthal in Krisenzeiten das geistliche Theater gefordert – und passte die Figuren an, um auf die sozialpolitische Situation nach dem Ersten Weltkrieg eingehen zu können.

Die allegorischen Figuren bilden auch beim Österreicher den Kern des Stücks, denn sie könnten „das zerfließende Weltwesen in solcher Art zu festen Gegensätzen verdichten“, schrieb er. Anders als bei Calderon lehnt sich bei Hofmannsthal jene Seele, die ein Bettler werden soll, gegen die Entscheidung Gottes (hier „Meister“ genannt) auf. Als Knecht erhält die Figur eine Axt und will zunächst, animiert durch teuflische Einflüsterungen, gegen die bestehende Ordnung vorgehen. Seine plötzliche Bekehrung stieß bei der Kritik indes auf Ablehnung, weil sie allzu abrupt und ohne wirkliche Motivation oder Erklärung erfolge. Reinhardts Inszenierung, vor allem des finalen Totentanzes, begeisterte dagegen.

Hofmannsthal betrachtete es als Aufgabe des Theaters, die Ordnung der Gesellschaft darzustellen und zugleich für sie Sorge zu tragen, indem jedem Individuum sein Platz gezeigt wird. Sein Großvater, ein jüdisch-orthodoxer Kaufmann, war 1835 geadelt worden, sein Vater wiederum zum katholischen Glauben konvertiert. Hofmannsthal selbst sah sich als katholischen Aristokraten, während andere ihn immer wieder als „jüdischen“ Intellektuellen bezeichneten. Die monströsen Folgen, die diese Zuschreibung nach sich ziehen konnte, erlebte er nicht mehr: Er starb 1929 in Wien.

Artikel 2 von 11