Das rätselhafte Abendmahl

von Redaktion

Deutsches Theater zeigt originalgetreue Replik: Ausstellung erklärt Leonardos Meisterwerk

VON KATRIN BASARAN

Nur 15 Minuten! Eine lumpige Viertelstunde. Viel zu wenig Zeit, um Leonardo da Vincis opulentes Werk „Das letzte Abendmahl“ zu betrachten, zu erkunden oder einfach zu genießen. In Mailand, wo sich das Original im Refektorium, also Speisesaal, des Klosters Santa Maria delle Grazie befindet, ist das exakt der Zeitraum, der jedem Besucher gewährt wird. Alle Zeit der Welt haben Sie hingegen im Silbersaal des Deutschen Theaters in München: Dort hängt noch bis 23. August eine originalgetreue Reproduktion. Mehr noch – mit Hilfe vieler Detailaufnahmen können Besucher mit dem 4,20 mal neun Meter großen Werk quasi auf Tuchfühlung gehen.

Dank eines Audioguides, der sich per QR-Code auf dem Smartphone aktivieren lässt, erfährt der Betrachter Wissenswertes zur Entstehung und Geschichte des Gemäldes, das der Ausnahmekünstler im Auftrag des Herzogs von Mailand in den Jahren 1495 bis 1497 schuf. Es zeigt die Reaktion der zwölf Apostel auf Jesus’ Satz beim letzten Abendmahl: „Einer von euch wird mich verraten!“

Leonardos Maltechnik ist sowohl revolutionär als auch anfällig für den Zahn der Zeit: Temperafarbe auf Gips ermöglicht einerseits Übermalungen während des Entstehungsprozesses, andererseits zeigten sich bereits zu des Künstlers Lebzeiten (1452-1519) erste Farbrisse. Die Folge sind viele Restaurationen, die das monumentale Werk seither hinter sich hat.

Völlig neu ist auch die Dynamik, die der Renaissancemeister in die dramatische Szene legt. Sie gelingt durch die verschiedenen Körperhaltungen und ausgeprägte Mimik von Christus und seinen Jüngern. Dem liegt die Überzeugung des Künstlers zugrunde, die Seele eines Menschen offenbare sich in dessen Gesicht und Körpersprache. Um sie in all ihren Facetten authentisch darzustellen, durchstreifte Leonardo tagelang Mailands auch verruchte Ecken auf der Suche nach passenden Charakterköpfen – so ist aus dem Audioguide zu erfahren. An seinem Gürtel trug der Meister stets ein Büchlein, in das er mit schnellen Kreidestrichen das Gesehene skizzierte. Besonders schwer soll er sich mit Judas getan haben. Als sich der Prior der Kirche einmal über Leonardos zeitweise Untätigkeit beschwerte, soll dieser geantwortet haben, er könne ja gern die Züge des Kirchenmannes zum Vorbild nehmen.

Neben derlei Anekdoten, die den Meister und seine Zeit lebendig werden lassen, lenkt der Erzähler den Blick des Betrachters auf viele Details. Etwa, dass der Tisch die Bildhöhe im Goldenen Schnitt teilt, der Hintergrund das Refektorium fortsetzt und die Mönche des Klosters dadurch quasi mit Jesus und seinen Jüngern speisten. Die Apostel erzeugen, angeordnet in Dreiergruppen, Symmetrie. Judas und Christus greifen nach demselben Teller, erfährt man. Dadurch, dass sich der Verräter zugleich von Christus weg nach hinten beugt, ergibt seine Haltung ein ungleichseitiges Dreieck – Zeichen für Unvollkommenheit. Ohnehin war es ein Novum in Leonardos Zeit, Judas unter den treuen Jüngern zu platzieren – Künstler hatten ihn zuvor stets isoliert auf einem Stuhl vor der Tafel gezeigt.

Der abschließende Teil der Schau zeigt, wie Leonardos Kunstwerk bis heute Menschen inspiriert. Wer derweil auf das Lüften von Geheimnissen à la „Da Vinci Code“ hofft, wird enttäuscht. Aber er kann sich ja selbst auf die Suche begeben, im Silbersaal hat er genügend Zeit dafür.

Bis 23. August,

täglich 12-20 Uhr; www.deutsches-theater.de.

Artikel 3 von 11