Seitenweise Reiseglück

von Redaktion

NEUERSCHEINUNG Elke Heidenreichs Geschichten aus aller Welt machen ein bisschen glücklicher

VON KATJA KRAFT

Das hübscheste Souvenir liegt direkt in ihrem Herzen. Mitgebracht aus Thessaloniki. Da saß sie vor einigen Jahren, die Elke Heidenreich, in irgendeiner Kneipe. Darin ein Kellner tätig war. Ein Mann, so schön – die Heidenreich der Ohnmacht nahe. Manchmal denkt sie zurück an diese griechische Hafenstadt, nein, nicht an die, sondern nur an den schönen Kellner. „Alles andere aus Thessaloniki habe ich vergessen. Martin Walser schreibt in ,Das geschundene Tier‘: ,Wenn du kein Virtuose im Vergessen bist, verblutest du auf der Intensivstation Erinnerung.‘“ Ach, Elke, sie schafft’s doch immer wieder, uns zu kriegen. Weil sie ihr Wissen über Kultur, Literatur, Musik serviert wie der schöne Grieche die gedünsteten Quitten: mit Herz, mit Geist, mit einer derartigen Begeisterungsfähigkeit, dass man sofort in den Zug, das Auto, (Umweltsau, die man ist) auch ins Flugzeug steigen möchte. Auf nach Zürich! Auf nach Lissabon! Oder doch erst nach Rom? Salzburg? Wien? Am liebsten in alle 41 Orte nacheinander, über die die Autorin in ihrem neuen Erzählband „Ihr glücklichen Augen“ schreibt.

Selbst nach Budapest. „Das große, stumme Budapest, das zu mir nicht sprach.“ Die ganze Zeit über war sie traurig, damals in Budapest. „Und heute weiß ich nicht einmal mehr, warum eigentlich.“ So einfach, so wahr. So Elke Heidenreich. Einmal mehr gelingt es ihr, in wenigen Worten ganze Gefühlswelten freizulegen. Oft blitzt zwischen den Zeilen dieses Ziehen in der Brust auf, das man manchmal auf Reisen spürt. Ein Gemisch aus Fern- und Heimweh, ein Verlorensein, obwohl man doch gerade ein bisschen der Welt verloren gehen möchte. In Danzig: „Ich bin traurig. Warum? Keine Ahnung. Wer erklärt, wer versteht schon den Menschen.“ Dann wieder Pesaro, Rossinis Geburtsstadt. Im Contenti e felice – „ein Lokal, das so heißt, wie man herauskommt: zufrieden und glücklich.“ Oder Paris. Ihr erster Besuch mit 17 Jahren, dann mit 20. Später noch einmal mit über 70. Viel wohlhabender als als junges Mädel, 1a-Hotels, 1a-Weine, 1a-Kulturprogramm. „Und doch nie mehr so glücklich wie damals. Paris, Paris, Sehnsuchtsort.“

Man möchte immer mehr von ihnen, diesen „kurzen Geschichten zu weiten Reisen“. Diese total subjektiven, durch persönliche Erinnerungen völlig verzerrten Eindrücke so vieler Städte und Gegenden. Heidenreich ist kein „Marco Polo“-Reiseführer, schon gar nicht objektiv. Behauptet sie auch nie. Die Orte können nichts für unseren Kummer, unsere Sorgen, die unsere Sicht beeinflussen. Was nützt die schönste Stadt, wenn das Herz schwer ist. Und doch, daran erinnern uns Heidenreichs Texte: Reisen kann trösten. Und bilden. Wenn man sich aufrafft und auf das, was erst nervig, mühsam, fremd wirkt, einlässt.

Wie 2002 bei der Schweizer Expo. Heidenreich fand das Konzept überdimensioniert. Sechs Monate, vier Städte, drei Seen, 475 000 Quadratmeter, 40 Pavillons, 1,5 Milliarden Kosten. Protzig, überflüssig. Sie überlegte, ob sie nicht nur in ihrem Zimmer mit Seeblick bleiben und überzeugt sein sollte: Das brauchen wir alles nicht. Ist dann doch hingegangen. „Und siehe: Es war wunderbar … Und in meinem zerrupften Kölner Herzen gingen Türen auf, die ich für fest verschlossen gehalten hatte: Ich habe gespielt wie ein Kind.“ Bei der Installation zum Beispiel, die dazu einlud, auf weiße Porzellanteller zu schreiben, wer oder was einen ärgert. Da hat sie so richtig losgelegt. „Der Teller mit dem Namen des vermaledeiten Kerls, der mir das Herz gebrochen hatte, flog an die Wand. Mehrmals. Es schepperte so schön.“

Es hat oft gescheppert in ihrem Leben; viel Liebeskummer, viele Achtel Wein in Wien, viel Kirschlikör in Lissabon, Rigaer Schnaps in Sankt Petersburg („Brrrrr.“). Gerettet hat sie die Literatur. Und dann zu all diesen Plätzen getragen. „Ich nähere mich Orten, an die ich reise, über Bücher, über die Literatur.“ Schon in Schulzeiten, als sie das erste Mal „Under Milk Wood“ des Walisers Dylan Thomas las. „Damals wusste ich: Irgendwann muss ich nach Wales reisen, in sein Swansea, ich muss diese Luft atmen, diese Gegend begreifen, um zu verstehen, was da so Großes entstehen konnte.“ Auch an Thomas’ Grab in Laugharne hat sie getrunken. Einen Whisky, dazu eine Zigarette. Tapfer prostete sie ihrem verstorbenen Helden zu: „Death shall have no Dominion.“ Der Tod soll keine Herrschaft haben. „Nur so können wir schließlich überleben, denn, das wusste er auch: Nicht der Tod ist die Herausforderung, sondern das Leben.“ Bücher wie dieses machen es ein bisschen leichter.

Elke Heidenreich:

„Ihr glücklichen Augen“. Hanser, München, 256 Seiten; 26 Euro.

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