Geigen zählen in der Regel zu den meistbeschäftigten Instrumenten eines Orchesters. Weshalb das Publikum beim Betreten des Großen Salzburger Festspielhauses angesichts der leeren linken Bühnenhälfte ein wenig stutzte. Doch hier handelte es sich keineswegs um ein kollektives Zuspätkommen. Komponist Alfred Schnittke gönnt in seinem Bratschenkonzert die höchste Lage tatsächlich der Solostimme und ordnet ihr die restlichen Streicher unter.
Eine Entscheidung mit Konsequenzen, die das nervös aufgekratzte Werk in ganz eigenen Klangsphären verortet. In einer von dunklen Nebeln durchzogene Welt, in der Tabea Zimmermann dennoch mit sicherem Schritt ihren Weg fand und das Publikum bei dieser nach Antworten suchenden Seelenreise tröstend an der Hand nahm.
Dabei entlockte sie ihrer Bratsche neben schroff aufgerauten Tönen immer wieder auch versöhnlich wärmende Phrasen, stürzte sich wild aufbegehrend in die kurz aufblitzenden Tanzrhythmen und erforschte ebenso virtuos wie einfühlsam das Ausdrucksspektrum ihres Instruments. Dies stets im engen Kontakt mit den hochkonzentriert aufspielenden Berliner Philharmonikern. Als Beispiel für viele innige kammermusikalische Dialoge sei stellvertretend Zimmermanns sensibler Austausch mit dem Solo-Kontrabass erwähnt.
Ermöglicht wurde dies auch durch Daniel Harding, der den Taktstock kurzfristig von dem auf ärztlichen Rat in Erholung geschickten Kirill Petrenko übernommen hatte. Der Brite schien mit den Berlinern unmittelbar auf einer Wellenlänge zu kommunizieren und ließ von Anfang an gegenseitiges Vertrauen spüren. Was Erinnerungen an „Klassik am Odeonsplatz“ weckte, wo er im Juli ebenfalls als Einspringer am Pult der Münchner Philharmoniker zu erleben war. Ein Auftritt, mit dem er bei der dort anstehenden Nachfolgefrage seinen Namen in den Ring geworfen oder hoffentlich zumindest das Interesse der Entscheidungsträger geweckt haben dürfte. Denn die sind, wie zu hören ist, an Harding dran.
Dass er sich im Kernrepertoire der Münchner auskennt, bewies im zweiten Teil des Abends seine zügige Lesart von Anton Bruckners vierter Symphonie, die hier in ihrer zweiten Fassung erklang. Eingeleitet von einem traumverlorenen Horn-Solo, dem ein behutsam gesteigerter erster Satz folgte, der keinen Zweifel daran ließ, dass der Dirigent den Untertitel der „Romantischen“ zwar mitdachte, ohne sich dabei jedoch in Manierismen zu verzetteln.
Harding setzte stattdessen auf Kontrastwirkung. So unter anderem mit den fast schon aggressiv gezupften Pizzicati des zweiten Satzes, die keine Wohlfühlstimmung zuließen. Oder im wild taumelnden Scherzo, das trotz martialischer Einwürfe der Blechbläser immer wieder zu seinem leicht federnden Grundton zurückfand. Lediglich der Einstieg ins Finale schwächelte, was den positiven Gesamteindruck aber kaum schmälerte. Und so reizvoll Schostakowitschs Zehnte unter Petrenko im Kontext von Schnittke und der Gesamtdramaturgie des Salzburger Konzertkalenders gewesen wäre: Dies war alles andere als eine Notlösung.